Rudolf Duala Manga Bell (1873-1914) und der Widerstand der Duala in Kamerun

Rudolf Duala Manga Bell setzte sich als Oberhaupt der Duala an der Küste Kameruns gegen die deutsche Kolonialregierung zur Wehr. Diese verurteilte ihn 1914 wegen Hochverrats zum Tod und vollstreckte das Urteil kurz vor Beginn des Weltkriegs. Er hatte sich gegen die Vertreibung der Duala von ihren angestammten Wohnplätzen und den Entzug ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlagen gewehrt und eine Gleichbehandlung mit weißen Deutschen gefordert. Im heutigen Kamerun wird er als Nationalheld verehrt.

Der Hinrichtung gingen drei Jahrzehnte deutscher Kolonialherrschaft voraus, in welchen die Duala wirtschaftlich ruiniert und immer mehr in die Enge getrieben wurden. Daran waren auch in Mannheim bekannte Personen beteiligt: Gustav Nachtigal gründete als Reichskommissar die deutsche Kolonie Kamerun. Nach ihm ist eine Straße in Rheinau-Süd benannt. Der in Seckenheim geborene Theodor Seitz war 1895 bis 1899 Bezirksamtmann und stellvertretender Gouverneur, 1907 bis 1910 Gouverneur der Kolonie Kamerun. Theodor Bumiller aus Landstuhl, ein Schwiegersohn von Heinrich Lanz, arbeitete ab 1896 in der Kolonialabteilung, u.a. als Kamerunbeauftragter.

Rudolf Duala Manga Bell gehörte im Dualavolk zum Familienverband der Bonanjo, von den Engländern und Deutschen Bell genannt. Die Duala lebten seit vielen Generationen an der Mündungslagune der Kamerunflüsse. Sie waren Fischer, brachten Fisch ins Landesinnere und tauschten ihn gegen Agrarprodukte ein. An der Küste betrieben sie Handel mit europäischen Kaufleuten. Sie verfügten über ein weit verzweigtes Handelsnetz im Landesinneren, das ihnen die Beschaffung von Gütern wie Elfenbein und Palmöl ermöglichte. Mit den britischen und ab 1860 auch zwei deutschen Handelsgesellschaften hatten sie zunächst feste Tauschwerte zwischen den Landesprodukten und europäischen Importwaren vereinbart, die beiden Seiten gute Geschäfte ermöglichte. Die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft sprengte diesen Handelsrahmen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Die Europäischen Händler versuchten, durch Ausschalten traditioneller Handelsstrukturen und durch Geschäfte mit konkurrierenden Anbietern niedrigere Preise durchzusetzen. Das führte zu internen Konflikten unter den Duala-Verbänden und motivierte einige Oberhäupter zu Verträgen mit europäischen Firmen.

Vertreter drei großer Familienverbände, darunter auch der Großvater von Rudolf Duala Manga Bell, unterzeichneten 1884 einen in englischer Sprache verfassten Vertrag mit den Hamburger Handelsgesellschaften Woermann und Jantzen&Thormälen. Dieser wurde kurz darauf von Gustav Nachtigal in einen Vertrag mit dem deutschen Kaiserreich überführt und als Rechtfertigung für die Gründung der deutschen Kolonie Kamerun eingesetzt. In diesem Vertrag unterstellten sich die Duala – Oberhäupter der deutschen Regierung, die ihnen dafür mündlich bzw. mit schwammigen Formulierungen versprach, ihr Handelsmonopol und ihren Landbesitz zu erhalten und ihre Landesbräuche zu respektieren. Sie konnten nicht wissen, dass ihre Vertragspartner von Anfang an beabsichtigten, ihr Handelsmonopol zu brechen. Dass ihre deutschen Herren sie als Menschen zweiter Klasse betrachten, enteignen, quälen und wirtschaftlich ruinieren würden, ging damals vermutlich über ihre Vorstellungskraft.

Bereits 1883 hatten sich die Hamburger Kaufleute in einer Denkschrift an die Reichsregierung für eine politische und militärische Unterstützung durch das Reich ausgesprochen, damit sie sich gegen die Briten behaupten und den afrikanischen Zwischenhandel in Westafrika ausschalten konnten. Wenige Wochen nach der Gründung der Kolonie Kamerun erklärte Thormälen öffentlich, es sei „von allergrößter Wichtigkeit“, den „hindernden und kostspieligen Zwischenhandel zu beseitigen“. Nachdem sie die Autorität und die Kanonenboote der deutschen Kolonialverwaltung im Rücken hatten, konnten die fünf englischen und zwei deutschen Handelsgesellschaften in Kamerun bereits 1886 Preissenkungen auf die Landesprodukte durchsetzen und erste Expeditionen ins Landesinnere durchführen. Es lässt auf Widerstand der Duala schließen, dass Rudolfs Vater August Duala Manga Bell, das designierte Oberhaupt der Bonanjo,1888 für zwei Jahre nach Togo verbannt wurde.

1891 verkündete das Gouvernement den Freihandel. Nicht nur die angestammten Firmen, sondern alle Schwarzen durften nun mit den europäischen Firmen Handel treiben. Während der Amtszeit von Theodor Seitz als Bezirksamtmann von Duala und stellvertretender Gouverneur 1895-1899 wurden Handelssperren und Verbote erlassen, die auch mit Prügel- und Gefängnisstrafen durchgesetzt wurden. Eine sechsmonatige Handelssperre in und um Duala im Jahr 1899 führte zu einer Verdoppelung der ausländischen Handelsstützpunkte und zum weitgehenden Zusammenbruch des Duala-Handels. Gleichzeitig stieß die staatliche „Schutztruppe“ mit bewaffneten Einheiten ins Hinterland vor, um Handelswege zu „öffnen“ und Dörfer zur Unterwerfung zu zwingen. Gab es Widerstand, wurden Dörfer vernichtet, die Bewohner*innen als Geiseln bzw. Zwangsarbeiter gefangengenommen, Oberhäupter abgesetzt, mit Peitschenhieben bestraft oder hingerichtet. Den Firmen gelang es mehr und mehr, direkte Verträge mit Dörfern abseits der Küste abzuschließen, Handelsniederlassungen im Landesinneren zu gründen und den Zwischenhandel der Duala zu umgehen. Zu weiteren erheblichen Einkommenseinbußen führte ein 1900 verhängtes Jagdverbot, das auch die Elefantenjagd und damit die Verfügung über Elfenbein betraf.

Rudolf Duala Manga Bell besuchte seit seinem vierzehnten Lebensjahr die Schule der Basler Mission in Duala und lernte Deutsch. Die Schule war auf den Wunsch der Duala auf dem Grundstück von Rudolfs Vater Manga Bell eingerichtet worden. Die Duala waren sehr bildungsorientiert und interessierten sich für die europäische Kultur. Sie trugen europäische Kleidung, errichteten Gebäude nach europäischem Vorbild, griffen früh Anregungen zur Anlage von Kakaoplantagen auf und drängten darauf, Söhne aus ihren Familien in Deutschland zur Schule gehen zu lassen. Ein Verwandter Rudolfs und drei weitere Duala-Söhne gingen bereits 1886 nach Deutschland. Sie berichteten vom deutschen Rechtssystem, das in der Lage sei, Menschen vor Gewalt und Willkür zu schützen. 1891 reiste Rudolf zusammen mit einem Jungen aus dem Duala-Akwa-Familienverband nach Deutschland. Die beiden lebten fast fünf Jahre im schwäbischen Aalen, wurden getauft und besuchten das Gymnasium.

Als Rudolf zurückkam, verschlechterte sich die Lage der Duala immer mehr. Sein Vater, inzwischen Oberhaupt der Bonanjo, sah sich gezwungen, anstelle der bisher erhaltenen Handelsgebühren eine Besoldung durch die Kolonialbehörde anzunehmen. Als bezahltem „Oberhäuptling“ kam ihm nun die fast unerfüllbare Aufgabe zu, die Kolonialverwaltung bei der Durchsetzung von Verordnungen zu unterstützen und auf jede Opposition zu verzichten.

Die Anliegen der Duala konnten 1899 über A. Sylvester Williams, einen jungen schwarzen Rechtsanwalt und Gründer der African Association in Deutschland vorgebracht werden. In einer Bittschrift an den deutschen Kaiser beschrieb er Zwangsarbeit und eine willkürliche ungerechte Behandlung der Schwarzen in Kamerun und bat um die Anwendung universeller Menschenrechte. Der Brief erreichte in der Berliner Kolonialabteilung den Kamerunreferenten Theodor Bumiller und den Legationsrat Theodor Seitz, der bis vor Kurzem stellvertretender Gouverneur in Kamerun gewesen war. Beide waren sich in ihrem Antwortschreiben einig: Die „sogenannten gebildeten Eingeborenen…zeichnen sich durch hervorragende Frechheit gegenüber den Weißen aus“.

1902 beschlossen die Duala-Oberhäupter, eine Deputation zum deutschen Kaiser zu schicken. Manga Bell und sein Sohn Rudolf und etwas später das Akwa-Oberhaupt Dika mit seinem Sohn Mpondo fuhren nach Berlin, aber auch sie kamen nicht weiter als zur Kolonialabteilung, wo sie ihre Beschwerden und Wünsche in gemäßigtem Ton vortrugen und schriftlich einreichten.
Nach ihrer Heimkehr bekamen sie Druck zu spüren. Der Gouverneur tadelte die „Frechheit und Unbotmäßigkeit“ und stellte klar, niemand außer ihm habe das Recht, an das Auswärtige Amt zu schreiben. Nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ wurden den Bonanjo ein paar Zugeständnisse gemacht, Dika Akwa dagegen zu fünf Monaten Gefängnis und Zwangsarbeit verurteilt.

1905 schickten die Duala Akwa nach einer ausführlichen Beratung mit den Dorfvertretern eine in deutscher Sprache verfasste Beschwerdeschrift an den Reichstag und den Reichskanzler. Darin brachten sie „die Quälereien des hiesigen deutschen Gouvernements“ wie z.B. Auspeitschungen, Zwangsarbeit, Erschießungen, gewaltsame Aneignung von Frauen sowie den Abriss von 370 Häusern zur Sprache und baten um die Abberufung des Gouverneurs Puttkammer und seiner Beamten. Die Informationen schlugen im Reichstag Wogen und gelangten auch in die Presse. Die Sozialdemokraten und die Zentrumspartei verlangten eine unparteiische Untersuchung. August Bebel prangerte die „außerordentliche Geringschätzung, die der Europäer den Eingeborenen gegenüber besitzt“ und die dahinter stehende „Gewinnsucht“ an. Die Regierung jedoch wollte Stärke demonstrieren und beließ das Gouvernement in Kamerun im Amt, das die Unterzeichner vor Gericht stellte und zu mehrjährigen Gefängnisstrafen mit Zwangsarbeit verurteilen ließ. Der Gouverneur wurde 1906 erst abberufen, als ihm eine Verfehlung nachgewiesen werden konnte. Puttkammer schäumte noch 1912 in seinen Memoiren, die Duala seien „das faulste, fälscheste und niederträchtigste Gesindel, welches die Sonne bescheint, und es wäre sicher am besten gewesen, wenn sie bei der Eroberung des Landes im Jahre 1884, wenn nicht ausgerottet, so doch außer Landes verbracht worden wären“.

Sein Nachfolger wurde Theodor Seitz. Die Duala standen ihm seit seiner ersten Amtszeit kritisch gegenüber und hatten die Kolonialabteilung gebeten, ihn nicht zum Gouverneur zu machen. Seitz war zunächst vorsichtig, setzte aber auch unbeliebte Verordnungen durch wie z.B. eine Kopfsteuer, die jeden schwarzen Mann verpflichtete, einen Monat im Jahr für das Gouvernement zu arbeiten. Der Widerstand gegen die Kolonialherrschaft nahm zu und kam in einer 1908 erschienenen Zeitschrift in der Sprache der Duala zum Ausdruck, in der das Kolonialsystem scharf kritisiert wurde. Seitz reagierte mit Repressalien und verschärfter Überwachung. Aber erst sein 1910 vorgelegter Plan zur Enteignung und Umsiedlung der Duala, um „aus hygienischen Gründen eine vollständige räumliche Trennung zwischen der Europäerstadt und den Dörfern der Eingeborenen“ zu erreichen, brachte die Situation schließlich zum Eskalieren.

1908 wurde der 35-Jährige Rudolf Duala Manga Bell nach dem Tod seines Vaters zum Oberhaupt des Bonanjo Familienverbands ernannt. Er stellte sich dem Gouverneur in seiner neuen Rolle vor und bat darum, wie ein Weißer gesiezt zu werden – alle Schwarzen wurden von den Weißen im Land geduzt. Seitz erzählt in seinen Memoiren etwas belustigt von diesem „Vorfall“, und führt aus, es sei schwer festzustellen, welche Vertreter der Duala „in einen höheren Status der Menschenwürde“ erhoben werden könnten. Rudolf erhielt wie sein Vater eine Besoldung als „Oberhäuptling“ und wurde in die Kolonialverwaltung eingebunden, bis er sich 1913 entschied, auf der Seite der Duala offen gegen das Gouvernement zu opponieren.

Von Anfang an lehnten sämtliche Duala – Vertreter die Umsiedlungspläne mit der Begründung ab: „Der Grund und Boden ist unser einziges Vermögen“. Sie schickten eine Petition an den Reichstag mit der Bitte, „die Enteignung rückgängig zu machen“. Da sie sich nach der gewaltsamen Einschränkung ihres Handels auf den Farmbau im Flussgebiet und auf Fischerei verlegt hätten, sei es notwendig, „dass das bisherige Bewohnen am Fluss uns belassen wird“. Der Petitionsausschuss gab das Schreiben an die Regierung „zur Erwägung“, während das Reichskolonialamt auf die Durchführung des Plans drängte, „um den Glauben an die Stärke der Regierung nicht zu erschüttern“. Im Januar 1913 erhielten die Duala den Enteignungsbeschluss.

Rudolf antwortete im Auftrag aller Duala mit einem Beschwerdeschreiben, in welchem er die Einhaltung des Vertrags von 1884 verlangte und die Erwartung ausdrückte, als Staatsbürger behandelt zu werden. Alle Betroffenen verweigerten die Annahme von Entschädigungsgeldern und die Umsiedlung. Eine Gruppe von Duala – Vertretern beantragte, nach Deutschland reisen zu können, um ihre Anliegen persönlich vorzutragen. Als dies abgelehnt wurde, wandte sich Rudolf hilfesuchend an den befreundeten Journalisten Hellmut von Gerlach, der zusammen mit dem illegal nach Deutschland gereisten Ngoso Din und Anwälten eine weitere Petition an den Reichstag formulierte. Sie wurde im Reichstag debattiert. Die Diskussion In der deutschen Presse bewegte sich zwischen den Schlagworten „Gerechtigkeit auch für die Farbigen“ und „Unverschämtheit des Negercharakters“.

Währenddessen wurden ab Ende 1913 gegen den passiven Widerstand der Betroffenen Häuser unter Polizeieinsatz abgerissen. Um die Bevölkerung zusätzlich einzuschüchtern, wurde eine militärische Drohkulisse aufgebaut. Kriegsschiffe landeten in Duala an und 850 Soldaten führten Manöver durch. Da der Widerstand weiterhin bestand, plante das Reichskolonialamt ab März 1914 die Eliminierung von Rudolf Duala Manga Bell und seines Vertrauten Ngoso Din. Im Mai präsentierte das Kolonialamt einen Bericht von Njoya, dem König von Bamun im Nordwesten Kameruns, den Seitz als „einen der besten Eingeborenen, die ich kennengelernt habe“ bezeichnet. Der Brief konnte als Beweismaterial für eine Anklage wegen Hochverrats genutzt werden.

Die beiden Angeklagten wurden im August 1914 zum Tod verurteilt und hingerichtet. Einen Monat später begann der erste Weltkrieg. Die Duala nahmen Kontakte zu den Engländern auf und erreichten, dass ihr Bezirk bereits im September von die Engländern und Franzosen eingenommen wurde.

Gertrud Rettenmaier

Literatur:
Christian Bommarius: Der gute Deutsche. Die Ermordung Rudolf Duala Manga Bells in Kamerun 1914, Berlin 2015
Jean-Pierre Felix Eyoum, Stefanie Michels, Joachim Zeller: Bonamanga. Eine kosmopolitische Familiengeschichte. Mont Kamerun 2, Nov.2005
Heiko Möhle, Branntwein, Bibeln und Bananen, Hamburg-Berlin, 5.Aufl. 2017
Adolf Rüger: Die Duala und die Kolonialmacht, in Stoecker, H.(Hg), Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft, Berlin 1968
Theodor Seitz: Vom Aufstieg und Niederbruch deutscher Kolonialmacht. Erinnerungen, Berlin 1927-1929, Bd. 2
Albert Wirz: Vom Sklavenhandel zum kolonialen Handel. Wirtschaftsräume und Wirtschaftsformen in Kamerun vor 1914, Zürich-Freiburg 1972

Foto: Jean-Pierre Felix-Eyoum