Gustav Nachtigal (1834 – 1885) – Wegbereiter der deutschen Kolonien

Nachtigal wurde in Eichstedt bei Stendal (Sachsen-Anhalt) als Pfarrerssohn geboren. Er studierte Medizin und arbeitete zunächst als Militärarzt. Nach einer Tuberkulose-Erkrankung begab er sich zur Genesung nach Nordafrika, wo er arabisch lernte. Nach einem Jahr in Algerien ging er 1863 nach Tunis,und wurde Leibarzt des Bey.

1868 traf Nachtigal den Forscher Gerhard Rohlfs, der 1868 von König Wilhelm I. von Preußen mit der Übergabe von Geschenken an den Sultan von Bornu im heutigen Nigeria beauftragt worden war. Rohlfs übertrug diese Aufgabe an Nachtigal.Dieser brach 1869 von Tripolis aus zu einer sechsjährigen Forschungsreise auf, die ihn von Libyen in die Länder rund um den Tschadsee und durch den Sudan nach Ägypten führte Er lernte unterwegs weitere regionale Sprachen und sammelte wissenschaftliche Daten über Geografie, Ethnografie und Sprachenkunde der durchreisten Gebiete.

1875 kehrte Nachtigal zurück und wurde in Berlin als Afrikaforscher gefeiert. Seine Reiseberichte machten ihn bekannt und führten zu zahlreichen Ehrungen. Er wurde Vorsitzender einflussreicher geografischer Gesellschaften, wie der Gesellschaft für Erdkunde und der Afrikanischen Gesellschaft. Außerdem war er Mitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und der Internationale Afrika-Gesellschaft. Als Mitglied der Commission internationale d’exploration et de civilisation de l’Afrique centrale beriet er den belgischen König Leopold II. bezüglich der Erschließung des Kongo. Im Jahr 1878 wurde er zum Mitglied der Leopoldina und Ehrenmitglied des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erdkunde. Nachtigal betrachtete seine Forschungen als Vorbereitung und Unterstützung für die Gründung eines deutschen Kolonialreiches und sprach sich für eine Zusammenarbeit von Wissenschaft, Mission und Handel aus.

1882 trat Nachtigal in den Dienst des Kaiserreichs, als er von Reichskanzler Otto von Bismarck zum Generalkonsul in Tunis berufen wurde. 1884 ernannte Bismarck Nachtigal zum Reichskommissar für Deutsch-Westafrika und beauftragte ihn, die vor kurzem durch Kaufleute und Privatpersonen erworbenen Territorien zu Kolonien des deutschen Reichs zu erklären. Bis zum Februar 1885 ließ Nachtigal die Fahne des Kaiserreichs in Togo, Kamerun und dem heutigen Namibia hissen. Da die vorliegenden Kaufverträge teils unter betrügerischen Bedingungen zustande gekommen waren oder nicht akzeptiert wurden, drohte Nachtigal afrikanischen Vertragspartnern mit Gewalt und Geiselnahmen. Auch bei offenkundigem Betrug wurde staatlicher Schutz garantiert. So wusste Nachtigal beispielsweise um den „Meilenschwindel“ von Lüderitz und akzeptierte den von Lüderitz geplanten weiteren Landraub. In allen beanspruchten Gebieten kam es nach den Vertragsabschlüssen zu Aufständen und Protesten.

Auf der Rückreise nach Europa erkrankte Nachtigal an Tuberkulose bzw. Malaria. Er starb am 20. April 1885 an Bord des kaiserlichen Kriegsschiffs. Nachtigals Tod während seiner Mission als Reichskommissar trug mit zu seiner Stilisierung als Kolonialheld bei. Er wurde zur Schlüsselfigur der deutschen Kolonialpropaganda. In vielen Städten Deutschlands wurden, teilweise nach 1933 in Rahmen des Kolonialrevisionismus, Straßen und Plätze nach Nachtigal benannt. In Mannheim-Rheinau-Süd wurde 1935 eine Straße im IG-Farben-Viertel nach ihm benannt.

Seit den 2000er Jahren wird die Ehrung Nachtigals durch Denkmäler und Straßennamen in vielen Städten Deutschlands kritisch diskutiert. Die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte beschloss im Frühjahr 2016 die Umbenennung des Nachtigalplatzes[7] und gab am 11. April 2018 bekannt, dass der Platz nach Emily und Rudolf Duala Manga Bell benannt werden soll, die eine zentrale Rolle spielten im Widerstand des Volkes der Duala gegen die deutsche Kolonialherrschaft.

Gertrud Rettenmaier

Literatur:

Gutachten von Dr. Bernhard Gißibl und Prof. Dr. Johannes Paulmann (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz) zu den Namensgebern der Gustav-Nachtigal-Straße, Leutweinstraße, Lüderitzstraße und des Sven-Hedin-Wegs in Mannheim-Rheinau im Auftrag des MARCHIVUMS, 2020

Anne-Kathrin Horstmann: Gustav Nachtigal – „…ein Held für Deutschlands Ruhm und Größe!“ in Marianne Bechhaus-Gerst/Anne-kathrin Horstmann: Köln und der deutsche Kolonialismus, 2013

C.A. Lüderitz, C. A. (Hrsg.): Die Erschließung von Deutsch-Südwest-Afrika durch Adolf Lüderitz. Akten, Briefe und Denkschriften. Oldenbourg 1945.