Hermann Wissmann (1853 – 1905) – Vernichtungsfeldzüge in Afrika

„Da man ein befestigtes Dorf nach der Einnahme meist niederzubrennen hat, ist aus praktischen Gründen stets eine Plünderung geboten“

Hermann von Wissmann: Angriff auf eine afrikanische Siedlung. In: Afrika – Schilderungen und Rathschläge zur Vorbereitung für den Aufenthalt und den Dienst in den Deutschen Schutzgebieten, Berlin 1903

Wissmann wird in Frankfurt/Oder als Sohn eines Regierungsrats geboren. Er tritt 1870 in die Armee ein und erlangt 1874 den Rang eines Leutnants. Er ist wegen Exzessen und Duellen als „verrückter Wissmann“ bekannt und musste wegen eines Pistolenduells eine viermonatige Haftstrafe abbüßen. Der Schriftsteller Frank Wedekind begegnet Wissmann in Kairo und hält fest, dieser „saufe und hure fürchterlich“.

1880 begibt sich Wissmann mit dem Gutsbesitzer, Juristen und Großwildjäger Paul Pogge im Auftrag der „Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Äquatorial-Afrikas* nach Luanda (Angola), um von dort aus das äquatoriale Afrika bis zur Ostküste und das Kasai-Gebiet im Kongobecken auszukundschaften. Wissmann erwartet ein „jungfräuliches Land, stellt aber dann fest, dass das Innere des afrikanischen Kontinents „erstaunlich bevölkert“ ist. Er bemerkt auch, dass der Sklavenhandel Spuren der Zerstörung und rohe, gewalttätige Milieus hinterlassen hat. Auf seiner Reise arrangiert er sich mit Handelskarawanen und lokalen Fürsten, gibt Sklavenhändlern Karawanenschutz und bedient sich der Hilfe von Dieben und Räubern. 1883 kommt er an der Ostküste an.

1886 nimmt Wissmann nach der Gründung der belgischen Kolonie Kongo einen Auftrag des belgischen Königs an, das Gebiet der Kasai-Flüsse nach Ressourcen, Arbeitskräften, Handelsrouten, Wasserstraßen und möglichen Bündnispartnern zu durchforschen. Daraus entsteht 1887 ein militärischer Auftrag für den Kongo-Freistaat. Wissmanns Truppe, mit Geschütz, 500 Gewehren und 320 Trägern ausgestattet, macht sich an die kriegerische Eroberung des Gebiets. Sie zwingt die einheimische Bevölkerung zur Unterwerfung, indem sie am frühen Morgen Überraschungsangriffe startet, Befestigungen sprengt, Dörfer vernichtet und plündert. Fliehen die Einwohner*innen, nutzen die Soldaten die Gelegenheit, alles mitzunehmen, was wertvoll scheint. Die Einwohner*innen werden vom Trinkwasser abgeschnitten, ihre Ernten und Felder vernichtet. Einzelne Führungspersonen, die zur Kollaboration bereit sind, werden zu hochrangigen Autoritäten aufgebaut, kriegerische Konflikte mit Konkurrenten geschürt. Personen, die nicht „irgendwie auszunutzen“ sind oder gar Widerstand leisten, werden ermordet. Gefangene werden mitgenommen und als Geiseln oder zur Verrichung von Arbeit und persönlichen, sicher auch sexuellen, Dienstleistungen eingesetzt. Schließlich werden Stationen als Stützpunkte der Kolonialmacht eingerichtet. 1887 zwingen gesundheitliche Probleme Wissmann zur Rückkehr nach Europa.

Wissmann plant 1888 eine Teilnahme an der sogenannten Emin-Pascha-Expedition, die der deutschen Expansion in Richtung Kongo dienen soll. Carl Peters ist maßgeblich an diesem Vorhaben beteiligt. Im selben Jahr zwingt jedoch der bewaffnete Widerstand der Bevölkerung an der ostafrikanischen Küste die deutsche Reichsregierung zu einer Änderung ihrer Prioritäten. Die Deutsche Ostafrika-Gesellschaft (DOAG), der die Entwicklung der Kolonie Ostafrika übertragen worden ist und die Anspruch auf die ganze ostafrikanische Küste erhebt, muß sich angesichts des Widerstands auf zwei verbliebene Stützpunkte zurückziehen. Deutsche Kriegsschiffe beschießen die Küste, richten aber wenig aus. Die Erhaltung der Kolonie und der Ruf des deutschen Reichs stehen auf dem Spiel. Nur eine Landstreitmacht kann die bisher besetzten Regionen zurückerobern. Bismarck setzt auf den Einsatz einer Privatarmee, denn für ihre Aktionen kann er nicht direkt verantwortlich gemacht werden. Die Truppe bedarf trotzdem staatlicher Unterstützung. Damit der Reichstag das Budget dafür bewilligt, begründet Bismarck die Rückeroberung der ostafrikanischen Küste nicht nur mit der „Verteidigung der deutschen Interessen“, sondern insbesondere auch mit der „Bekämpfung des Sklavenhandels“. Damit kommt er insbesondere den Zentrums-Abgeordneten entgegen, die sich der christlichen Antisklavereibewegung verpflichtet sehen.

Wissmann bringt die erforderlichen Voraussetzungen für die Leitung der „Polizeitruppe“ mit: Eine militärische Ausbildung, Erfahrungen in Afrika, Draufgängertum, Risikobereitschaft und die Bereitschaft zur kolonialen Eroberung. Er wird zunächst in den Rang eines Hauptmanns, dann in den eines Reichskommissars befördert. Als solcher erhält er den Auftrag, seine eigene Polizeitruppe zusammen zu stellen.

Die Führungskräfte darf er selbst aus der Reichswehr auswählen. Sie werden für den Einsatz freigestellt, behalten aber ein Rückkehrrecht und Pensionsansprüche. Adjutant und enger Begleiter Wissmanns wird der vermögende Theodor Bumiller. Er begleitet Wissmann bei der Anwerbung afrikanischer Söldner, als Sekretär und Stellvertreter. Beide verbindet eine enge freundschaftliche Beziehung. In Kairo werben beide 600 sogenannte „Sudanesen“ an, die bereits der britischen Kolonialmacht gedient haben, hinzu kommen Söldner aus dem ost- und südostafrikanischen Küstengebiet. Waffen und Munition werden den Beständen der Reichswehr entnommen. Wissmann erhält von Bismarck den Auftrag, die Küste zurückzuerobern und die Karawanenstraßen zu sichern. Bei der Umsetzung hat er freie Hand. Die Anweisung heißt: „Siegen Sie!“

Die Wissmann-Truppe geht mit den im Kongo bewährten Mitteln gegen die gut organisierten Widerstandszentren vor und ist mit ihren überlegenen Waffen und ihrem brutalen Vorgehen bald erfolgreich. Mit dem neuen Maxim-Maschinengewehr mit einer Schussfolge von etwa 500 Schuss pro Minute werden Massaker verübt. Vernichtungsfeldzüge und ,verbrannte Erde’ zwingen die Bewohner*innen in längerfristige Abhängigkeiten. Die Strategie ist: Wer sich unterwirft, wird in Dienst genommen. Wer sich nicht nützlich machen will, wird ermordet. Die Truppe dringt auch mehrfach ins Hinterland ein, was laut Bismarcks Auftrag nicht vorgesehen ist. 1890 ist die gesamte Küste des beanspruchten „Deutsch-Ostafrika“ wieder unter deutsche Herrschaft gestellt. Wissmann lässt weitere 600 Sudanesen anwerben und steht nun an der Spitze einer Truppe von 1800 Soldaten.

Wissmann wird nach Deutschland zurückbeordert. Er hat seinen Auftrag bereits (über-)erfüllt und es gibt begründete Zweifel daran, dass er sich an Vorgaben der Regierung hält bzw. in Strukturen einbinden lässt. Er hat mit dem vor Ort eingesetzten Marinekommandeur Konkurrenzkämpfe geführt und die Rückgabe der Insel Sansibar an die britische Krone im Tausch gegen Helgoland offen kritisiert. Darüber hinaus gibt es Informationen über Grausamkeiten und regelloses Verhalten der Wissmanntruppe, und es wird über Wissmanns exzessiven Alkohol- und Morphiumkonsum gesprochen. Die Kosten des Feldzugs haben das Budget weit überschritten und sind außer Kontrolle geraten.

Reichskanzler von Caprivi beschließt die Verstaatlichung der Truppe. Der Kaiser mildert die Entmachtung Wissmanns nach außen hin durch die Verleihung von Orden und des Adelstitels sowie die Beförderung zum Major. Wissmann nutzt seine verbleibende Zeit als Interims-Truppenkommandeur bis 1891 für eine Militärexpedition in die Kilimandscharo-Region.

1892 leitet Wissmann eine privat organisierte Expedition zum Nyassa-See an der Südwestgrenze der Kolonie, bei welcher ein zerlegter Dampfer von der ostafrikanischen Küste zu dem Binnensee transportiert wird. Für das verdeckt militärische Unternehmen hat sein Adjutant Bumiller 300 000 Stück Munition für das Maxim-Maschinengewehr besorgt. Kriegerische Auseinandersetzungen mit der ansässigen Bevölkerung gipfeln in Massakern. Das Schiff wird zusammengebaut, erhält den Namen Herrmann von Wissmann und fungiert bis 1914 als Polizeischiff.

Wissmann kehrt nach Deutschland zurück und baut seine Kontakte aus.1894 heiratet er die vermögende Tochter eines Kölner Zuckerfabrikanten.

1895 setzt der neue Reichskanzler von Hohenlohe-Schillingsfürst Wissmann als Gouverneur von Ostafrika ein. Das Kommando der Schutztruppe wird jedoch Lothar von Trotha übertragen, mit dem Wissmann in ständige Konflikte gerät. Als Gouverneur setzt Wissmann eine sogenannte Hüttensteuer durch, die große Teile der Bevölkerung zur Arbeit für die deutschen Herren zwingt. Er lässt Vertreibungen und Enteignungen vollziehen, um sogenanntes „Kronland“ zu gewinnen, das an deutsche Farmer und Siedler vergeben werden kann. Als passionierter Großwildjäger gründet er den ersten „Naturschutzpark“, der für europäische Jäger reserviert ist, während die Einheimischen aus dem Gelände vertrieben werden. Die Sklaverei haben weder Wissmann noch andere Verantwortliche in der deutschen Kolonie bekämpft. Um 1900 sollen in Deutsch-Ostafrika noch 400.000 Menschen und damit 10 % der Bevölkerung versklavt gewesen sein.

Nach etwas mehr als einem Jahr trat Wissmann vom Gouverneursamt zurück. Danach unternimmt er Reisen, u.a. nach Russland, und jagt Großwild. 1905 kommt er durch einen Schuss aus dem eigenen Gewehr zu Tode.

In Deutschland wird Wissmann als Kolonialheld gefeiert. In Bad Lauterburg im Harz, dem Geburtsort seiner Mutter, wo er zeitweise gelebt hat, wird auf Betreiben ehemaliger Angehöriger der ,Wissmann-Truppe’ und der Deutschen Kolonialgesellschaft schon 1908 ein Wissmann-Denkmal errichtet, das bis heute steht. Das 1909 in Dar es Salaam errichtete Denkmal wird 1921 nach Deutschland transportiert und ein Jahr später in Hamburg aufgestellt, wo es als Kultstätte des Kolonialrevisionismus dient. 1945 wird die Statue bei der Bombardierung vom Sockel gerissen, 1949 wieder aufgestellt. Aktivist*innen der Studentenbewegung stürzen es 1968.

Die deutschen Faschisten ehren ihn an vielen Orten mit der Benennung von Straßen.

Gertrud Rettenmaier

  • 1873 in Berlin gegründet. Pogge hatte sich schon 1875 einer Expedition im Auftrag derselben Gesellschaft angeschlossen.

Literatur:

Tanja Bührer: Die kaiserliche Schutztruppe für „Deutsch-Ostafrika“, München 2011

Tanja Bührer: Ein Forschungsreisender als Notbehelf. Hermann Wissmann und der erste Überseeeinsatz des Deutschen Reichs (1889 – 1891). In Comparativ, 23, 2013, Heft 2

Hannimari Jokinen/Flower Manase/Joachim Zeller (Hg.): Stand und Fall. Das Wissmann-Denkmal zwischen kolonialer Weihestätte und postkolonialer Dekonstruktion, Berlin 2022

Bernhard Gißibl/Katharina Niederau: Imperiale Weltläufigkeit und ihre Inszenierungen. Theodor Bumiller, Mannheim und der deutsche Kolonialismus um 1900, Göttingen 2021

Claudia Prinz: Hermann von Wissmann als Kolonialpionier. PERIPHERIE Nr. 118/119, 30. Jg. 2010, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 315-336