Jacob Marenga (ca. 1875 – 1907) und der Widerstand der Nama

Jacob Marenga – auch Morenga oder Marengo genannt – wurde nach Beendigung des Hererokrieges ab Oktober 1904 zur zentralen Gestalt der Nama-Rebellion in Südwestafrika (heute Namibia). Bis zu seiner Ermordung 1907 kämpfte er mit strategischer Weitsicht, Mut und moralischer Integrität gegen die entmenschlichte deutsche Kolonialpolitik und um die Rechte der indigenen Bevölkerung.
Morengas Vater war Herero, seine Mutter Nama. Vermutlich besuchte Jacob – ebenso wie viele andere Nama seiner Generation – eine Missionsschule. Neben Nama und Herero sprach er fließend Kapholländisch, Englisch und Deutsch. Er hielt sich wechselnd im südwestafrikanischen Namaland und in der britischen Kapkolonie (heute Südafrika) auf, wo er zeitweise in den Kupferminen von Ookiep arbeitete. Im Herbst 1903 trat Marenga als einfallsreicher Taktiker bei dem Aufstand der Bondelswart, eigentlich ǃGami-ǂnun, einer Volksgruppe der Nama, in Erscheinung.
Als die deutsche Kolonialmacht 1904 mit einem Vernichtungskrieg auf den Widerstand der Herero reagierte, beschlossen die Nama, ebenfalls gegen die Deutschen zu kämpfen. Marenga beschaffte mit Überfällen auf weiße Siedler Waffen und Lebensmittel und organisierte eine Widerstandstruppe, die anfangs aus 11 Männern bestand. Seine besondere Stärke waren dezentrale Überfälle in Guerrillataktik auf die deutschen Truppen. Als der Nama-Anführer Hendrik Witbooii an Verwundungen starb, übernahm Jacob Marenga die Führung des Nama-Widerstands.

Was war der Hintergrund?

1884 hatte der Reichskomissar Gustav Nachtigal die deutsche Fahne in Südwestafrika gehisst, die „Erwerbungen“ des Kaufmannes Adolf Lüderitz unter den Schutz des deutschen Kaiserreichs gestellt und zu Erweiterungen des deutschen Gebiets ermuntert. Damit war die deutsche Kolonie
Südwestafrika gegründet. Unter dem Gouverneur Theodor Leutwein folgte die Etablierung einer Kolonialverwaltung und einer sogenannten Schutztruppe, welche die Rechte der Deutschen sicherte. In der Kolonie nahm sich Deutschland das Recht, „herrenloses Land“ in Besitz zu nehmen und den Einheimischen Reservate zuzuweisen. Das deutsche Kaiserreich stellte Siedler:innen Farmland zur Verfügung, förderte in der Kolonie die Gewinnung von Kupfer und anderen Metallen und ebenso den Handel mit deutschen Exportwaren.


Bis 1914 kamen rund 15.000 weiße Siedler:innen nach „Deutsch-Südwestafrika“, darunter mehr als 12.000 Deutsche. Für die Bevölkerung Namibias wurde der Raub ihres besten Landes zu einer existenziellen Bedrohung. Die überwiegende Trockenheit des Landes ermöglichte traditionell nur eine extensive und teils halbnomadische Nutzung. Verschiedene Volksgruppen teilten sich den Lebensraum: Die San lebten als Jäger und Sammler, die Nama als Rinderzüchter, die Herero betrieben Milchwirtschaft. In engen Reservaten konnten sie ihren Lebensunterhalt nicht wie bisher bestreiten

Die deutsche Kolonialverwaltung, die europäischen Siedler:innen und die Soldaten der Kolonialtruppe regierten mithilfe von Rassentrennung und Unterdrückung. Sie stellten die Afrikaner:innen auf die Stufe von Tieren und entzogen ihnen jegliche Rechte. Willkürliche Gewalt, Zwangsarbeit, Vergewaltigungen, Dorfzerstörungen, Viehdiebstahl und Auspeitschungen bei den geringsten Vergehen wurden zur Normalität. Weiße Händler belieferten die indigene Bevölkerung planmäßig auf Kredit, um bei der unvermeidlichen Zahlungsunfähigkeit ihrer Schuldner deren Vieh pfänden und gewinnbringend weiterverkaufen zu können. Als all das unerträglich geworden war, erhoben sich am 12. Januar 1904 die Herero. Sie griffen Farmen und koloniale Einrichtungen an, belagerten Militärstationen, blockierten Bahnlinien und überfielen Handelsniederlassungen.

Wie verlief der deutsch-namibische Krieg?

Das deutschen Kaiserreich beschloss, jeden Widerstand zu brechen. Der Gouverneur und Oberbefehlshaber der Kolonialtruppe Theodor Leutwein, dessen Strategie eine Mischung von Unterwerfung und Kooperation gewesen war, wurde abgesetzt. Statt die Bevölkerung zu vernichten, wollte er „Arbeitsmaterial“ erhalten: „Abgesehen davon, daß ein Volk von 60-70,000 Seelen sich nicht so leicht vernichten läßt, würde ich eine solche Maßnahme für einen schweren wirtschaftlichen Fehler halten. Wir bedürfen die Hereros noch als kleine Viehzüchter und besonderes als Arbeiter.“(1) Das Kommando wurde an Lothar von Trotha übertragen, der zur Führung eines Vernichtungskriegs bereit war: “Ich glaube, daß die Nation als solche vernichtet werden muß.“(2) Die Truppe von bisher 2.000 Männern wurde durch 14.000 Soldaten und entprechende Bewaffnung verstärkt. Sie ging mit brutaler Härte gegen die Aufständischen samt Frauen und Kindern vor. Im August 1904 trieb die deutsche Armee die Aufständischen Herero in die Enge, so dass sie nur noch in die Omaheke-Wüste fliehen konnten, die dann von den Deutschen abgeriegelt wurde. Die meisten verdursteten und verhungerten in der Wüste. Gefangene wurden abtransportiert, Frauen und Kinder wurden von den Männern getrennt hinter Stacheldraht gepfercht.

Daraufhin erhoben sich die Nama im Oktober 1904 ebenfalls gegen die deutschen Kolonialherren. Ihr Widerstand war zunächst erfolgreich. Durch ihre Guerillataktik gelang es den Widerstandskämpfern um Hendrik Witbooi, Jacob Marenga und Johannes Christiansen 1905, der Südabteilung der deutschen Truppe schwere Verluste zuzufügen und sie so in die Flucht zu schlagen. Von Dezember 1905 bis Februar 1906 mussten die Deutschen ihre Kämpfe ganz einstellen, da sie Nachschubprobleme hatten. Das wurde als Schmach für das deutsche Militär empfunden. Im März 1906 entfesselten die Deutschen mit mehr als 5000 Soldaten, ausgerüstet mit Geschützen und Maschinengewehren, eine Großoffensive gegen die von Marenga angeführten ca. 260 bewaffneten Nama. Am 1. Mai 1906 gelang es Jacob Marenga, mit Frauen und Kindern über den Orange River in die britische Kapkolonie zu fliehen. Deutsche Soldaten verfolgten sie unter Verletzung der Grenzrechte und unter Missachtung internationaler Verträge. Dabei wurden 23 Nama getötet, der verwundete Morenga konnte entkommen.

Der britische Protest gegen die Grenzübertretung blieb nach Aussagen des deutschen Generalkonsuls in Kapstadt rein formal. Am 7. Mai 1906 stellte sich Jacob Marenga zusammen mit sieben seiner Männer der britischen Kap-Polizei. Man brachte ihn nach Prieska in Südafrika, wo er von der Bevölkerung als Held begeistert gefeiert wurde. Er gab mehrere Interviews. So erklärte er der Cape Times, dass der Krieg durch seine Festnahme nicht beendet sei, sondern solange weitergehe, „wie noch ein Afrikaner im Felde steht“.(3) Weiter bekräftigte er seine Hoffnung, dass Südwestafrika an Großbritannien übergehe und beteuerte sein Vertrauen in eine gerechte Behandlung durch die Briten. Den Deutschen wollte er sich ausdrücklich nicht ergeben. Er klagte an, dass diese Kinder und Frauen nicht schonten, glaubte diese auf britischem Gebiet in Sicherheit und ersuchte bei den Briten um politisches Asyl. Daraufhin wurde er für fast eineinhalb Jahr interniert.

Am 31. März 1907 wurde auf Order Kaiser Wilhelms II. der Kriegszustand in Namibia aufgehoben. Marenga, der im Juni 1907 freigelassen wurde, tauchte wieder im deutsch-britischen Grenzland unter. Der britische Außenminister Sir Edward Grey versicherte den Deutschen nun, dass Morenga kein Asyl mehr erhalte, sondern auf deutsches Gebiet zurückgetrieben werde, da der Krieg der Deutschen gegen die Herero und Nama beendet sei. Der Deutsche Kaiser ordnete an: „Preis auf Morengas Kopf setzen 20.000 Mark, seine Bande ausrotten ohne Pardon.“(4) Die englische Kap-Polizei unterstütze nun die deutsche Truppe. Morenga mobilisierte noch einmal Widerstandskämpfer unter den Nama in der Kapkolonie und in der Kalahari. Am 17. September 1907 wurde er aufgespürt und im Gefecht neben zwei weiteren Männern und vier Frauen erschossen.

Die überlebenden Ovaherero und Nama wurden in Konzentrationslagern interniert und zur Zwangsarbeit herangezogen. 96 Nama wurden nach Südkamerun deportiert und dort als Zwangsarbeiter eingesetzt. Von den ursprünglich 60.000 bis 80.000 Ovaherero überlebten nur etwa 16.000, genaue Opferzahlen sind umstritten. Auch die Hälfte der rund 20.000 Nama fielen der Vernichtungspolitik zum Opfer. Umsiedlungsaktionen, Enteignung des Grundbesitzes, Entziehung der Ernährungsgrundlage – das gesamte Vieh wurde in stark gesicherte Wehrdörfer gebracht – , die Einrichtung mobiler Einsatztruppen mit modernsten Waffen und „drakonische Strafen gegen gefangene Rebellen und Sympathisanten“(3) dezimierten die indigene Bevölkerung weiter. Verbote des Erwerbs von Grundstücken und Reittieren sowie der Großviehzucht zwangen die Bevölkerung, Arbeit bei den weißen Kolonialisten anzunehmen und zerstörten ihre sozialen Strukturen.

Die deutsche Kolonialherrschaft über Südwestafrika endete 1915 mit der Kapitulation der kaiserlichen ‚Schutztruppen‘ vor südafrikanischen Truppen des britischen Empire. Die Diskriminierung und Unterdrückung von Ovaherero und Nama setzte sich unter dem südafrikanischen Apartheidregime fort.

Jacob Marenga genießt bis heute im Süden Afrikas hohes Ansehen als ‚schwarzer Napoleon‘ und erster Guerillakämpfer.

Margarete Würstlin / Gertrud Rettenmaier

Quellen:
1 Dr. jur. Herbert Jäckel: Die Landgesellschaften in den Deutschen Schutzgebieten, Leipzig 1909
2 Bundeszentrale für politische Bildung:Januar 1904: Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika, 10.1.2014
3 Uwe Timm: Morenga, München 16.Aufl. 2019
4 Ulrike Lindner: Koloniale Begegnungen: Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte inAfrika 1880-1914, Frankfurt 2011
Weitere zugrunde gelegte Literatur:
wikipedia: Herero Aufstand
Bernd Heyl, Namibische Gedenk- und Erinnerungsorte, Frankfurt 2021
Wolfgang Reinhard: Vorwort zu „Afrika den Afrikanern“, Rostock 2017
George Steinmetz: Von der „Eingeborenenpolitik“ zur Vernichtungsstrategie: Deutsch-Südwestafrika, 1904., Münster 2005
Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller: Völkermord in Südwestafrika, Berlin 2016

Bild: Guerrillakämpfer um Jacob Marenga (Mitte), Nationalarchiv Namibia