May Ayim, geboren 3. Mai 1960 in Hamburg als Sylvia Brigitte Gertrud Opitz, gestorben 9. August 1996 in Berlin, war deutsche Dichterin, Pädagogin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung. Die Tochter eines ghanaischen Medizinstudenten und einer Deutschen lebte in den ersten eineinhalb Jahren in einem Kinderheim in Hamburg. Ihr Vater durfte sie nicht mit nach Ghana nehmen. Von einer deutschen Familie adoptiert, wuchs sie bei dieser in Münster auf. Ihre Kindheit beschreibt sie als bedrückend, von Angst und Gewalt geprägt. Die Adoptiveltern versuchten sie mit wachsender Strenge zu erziehen, um alle „rassistischen Vorurteile“ Lügen zu strafen.
1979 legte May Ayim das Abitur an der katholischen Friedensschule in Münster ab, studierte danach an der Universität Regensburg Pädagogik und Psychologie und schloss 1986 mit Diplom ab. Während des Studiums reiste sie nach Kenia, wo ihr Vater mittlerweile als Medizinprofessor arbeitete und nach Ghana, dass sie als ihr „Vaterland“ bezeichnete, um sich auf die Suche nach ihrem kulturellen Erbe zu machen. Auch hier fühlte sie sich fremd und wurde als „Weiße“ angesehen. Die Begegnungen mit ihrer ghanaischen Großfamilie beschrieb May Ayim später mit dem Sinnbild eines „wallnussmangobaums“, ein Baum des Lebens, der Früchte aus beiden Ländern trägt.
Thema ihrer Diplomarbeit war: ‘Afro-Deutsche: Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen’. Der eigentlich zuständige Regensburger Professor lehnte das Thema der Diplomarbeit laut Ayim mit der Begründung ab, „Rassismus gibt es im heutigen Deutschland nicht“. Stattdessen fand sie in Berlin eine Prüferin, die die Arbeit annahm. In Münster und in Regensburg wurde sie immer wieder auf ihre Hautfarbe angesprochen. “Der Umstand, nicht untertauchen zu können, hat mich zur aktiven Auseinan-
dersetzung gezwungen.”
1984 zog sie nach West-Berlin und lernte dort die afroamerikanische Schriftstellerin und feministische Aktivistin Audre Lorde kennen. Diese war im selben Jahr aus New York für eine Gastprofessur an der Freien Universität nach Berlin gezogen. Ihre Lesungen begann sie mit dem Satz: „Ich komme zu euch als Afroamerikanerin, Feministin, Lesbe, Kriegerin, Schwarze Aktivistin, Dichterin, Mutter, Krebsüberlebende“.
1986 war Ayim Gründungsmitglied der Initiative Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland (ISD). 1987 begann sie eine Ausbildung zur Logopädin. Ihre Examensarbeit von 1990 trägt den Titel: “Ethnozentrismus und Sexismus in der Sprachtherapie.” In Analogie zu ‚Afro-American’ entwickelte sie im Austausch mit anderen Schwarzen deutschen Frauen die Selbstbenennung “Afrodeutsch”. Ermutigt von Lorde veröffentlichte May Ayim 1986, gemeinsam mit Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz den Band Farbe bekennen, der auch ins Englische übersetzt wurde. Der Sammelband wird ein Schlüsselmoment für die afrodeutsche Community.
Als Dichterin und Logopädin erkannte May Ayim die Gewalt, die sich in und über Sprache ausdrückt. Als Pädagogin und politische Aktivistin setzte sie sich mit dieser Dimension von Gewalt aktiv auseinander.
Sie wehrte sich in Vorträgen und auch in ihren Gedichten gegen rassistische Diskriminierung, die sie in ihrem Alltag selbst erfuhr. In “Farbe bekennen” schrieb sie: „Ich wuchs mit dem Gefühl auf, das es in mir steckte, beweisen zu müssen, dass ein ‚Mischling‘, ein ‚Neger‘, ein ‚Heimkind‘ ein vollwertiger Mensch ist.“ Die Deutsche Wiedervereinigung, die Ayim als „Sch-Einheit“ bezeichnete, erlebte Ayim überschattet von zunehmendem Nationalismus und Gewalt gegen Minderheiten. Im Gedicht “deutschland im herbst” (1992) zog sie eine Verbindung von der “Kristallnacht” im November 1938 zum tödlichen Überfall auf Amadeu Antonio im November 1990 und schloss mit
den Worten „mir graut vor dem winter“. Ab 1992 publizierte sie unter dem Namen May Ayim.
1991 trat sie dem Verband deutscher Schriftsteller:innen bei. Anschließend arbeitete sie als freiberufliche Logopädin, sowie von 1992 bis 1995 als Lehrbeauftragte an der Alice-Salomon-Fachhochschule, der Freien Universität Berlin und der Technischen Universität Berlin. 1995 veröffentlichte sie die Gedichtsammlung blues in schwarz weiss. Darin wurde ihr Gedicht exotik aufgenommen, das sie bereits 1985 verfasst hatte und das die Verbindung ihrer Lebenserfahrungen mit ihrem künstlerischen Schaffen zu erkennen gibt:
nachdem sie mich erst anschwärzten
zogen sie mich dann durch den kakao
um mir schließlich weiß machen zu wollen
es sei vollkommen unangebracht
– schwarz zu sehen
May Ayim gilt als eine der Pionierinnen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland. Sie analysierte: „Die christlich-abendländische Farbsymbolik brachte die Farbe Schwarz von jeher mit dem Verwerflichen und Unerwünschten in Verbindung. Entsprechend sind in der frühen Literatur Beispiele zu finden, wo weiße Menschen durch unrechtmäßiges Verhalten zu “Mohren” werden.” “Religiös bestimmte Vorurteile und Diskriminierungen bildeten so einen Teil des Fundamentes, auf dem sich in der Kolonialzeit mühelos ein Konglomerat rassistischer Überzeugungen entfalten
konnte, welches die Schwarzen zu Untermenschen (Negern) werden ließ.“ May Ayim (1997)
May Ayim war international als Dichterin, Wissenschaftlerin und politische Aktivistin bekannt. Sie nahm weltweit an Lesungen und Konferenzen teil und stand im Austausch mit Autor:innen, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen. “Ihre Gedichte bewegen viele Menschen, ihre politische Arbeit vereint Schwarze, feministische Gesellschaftskritik und die Vision solidarischer Bündnisse.” (Nachruf Alice-Salomon-Fachhochschule)
Nachdem bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, entschied sich May Ayim im August 1996 aus dem Leben zu gehen. Sie wurde 36 Jahre alt. Bestattet wurde May Ayim auf dem Alten St.Matthäus-Kirchof, Berlin.

Ihr zu Ehren wurde in Berlin das ehemalige Gröbenufer in May-Ayim-Ufer umbenannt. Der brandenburgisch-preußische Kolonialpionier Otto Friedrich von der Gröben (1657-1728) errichtete Ende des 17. Jahrhunderts die Festung „Großfriedrichsburg“ im heutigen Ghana, von der aus über 30.000 Afrikaner zur Sklavenarbeit verschifft wurden. Mit der Umbennenung des Kreuzberger Ufers in May-Ayim-Ufer 2010 wurde eine herausragende Aktivistin gegen Kolonialismus und Rassismus geehrt.
Im Jahr nach ihrem Tod erschien im Orlanda Frauenverlag in Berlin May Ayims zweiter Gedichtband “Nachtgesang” sowie ein Sammelband mit dem Titel “Grenzenlos und Unverschämt”, der ihre politischen und biografischen Essays, Interviews und Fotos beinhaltet. 2016 erschien zu May Ayims 20. Todestag außerdem die Anthologie Sisters and Souls (2015).
Margarete Würstlin
Literatur:
May Ayim et al. (Hg.) Farbe bekennen
Wikipedia: May Ayim
Magazin Missy: unverschämt schwarz
http://www.verwobenegeschichten.de
Alice-Salomon-Fachhochschule : Hochschulkommunikation
Fotonachweis :
Dr. Natasha A. Kelly (2018): May Ayim, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/may-ayim