Kolonialismus hat verschiedene Erscheinungsformen. Bereits Anfang des 15. Jahrhunderts begannen die Portugiesen entlang der afrikanischen Atlantikküste Handelsplätze und Hafenanlagen zu errichten, die mit militärischen Bauten, Forts, gesichert wurden. Unterschieden davon wird der holländische Handelskolonialismus der sich viel stärker auf das Hinterland ausweitete, ebenso wie der britische Kolonialismus in Indien und der spanische Siedler-Kolonialismus in Mittel- und Südamerika und der britische in Nordamerika sowie der französische in Nordafrika und Indochina.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert, der Phase des imperialistischen Kolonialismus teilten sich die imperialistischen Mächte Europas und die USA bis dahin nicht kolonisierte Regionen neu auf. Ziel war die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft mit der Inbesitznahme besser organisieren zu können. Spätestens mit diesem Schritt wurden auch die bis dahin in diesen Regionen bestehenden staatlichen Strukturen oder andere Formen der gesellschaftlichen Organisation zerstört.
Gemeinsam ist diesen verschiedenen Formen des Kolonialismus ist die gewaltsame Aneignung riesiger Gebieten, der dort vorhandenen Reichtümer und der Unterwerfung der Bewohner*innen.
In den kolonisierten Gesellschaften hinterließen 500 Jahre Kolonialismus tiefe Verletzungen. Ihre eigenen Grundlagen für eine eigenständige Entwicklung der kolonisierten Gesellschaften wurden zerstört. Das betrifft alle Bereiche dieser Gesellschaften, das Zusammenleben und Arbeiten der Menschen, gesellschaftliche Organisationsstruktur, technische Entwicklungen, Kultur und Bildung etc. Der transatlantische Handel und Transport von Millionen afrikanischer Sklaven für die Arbeit in amerikanischen Plantagen und Bergwerken brachte nicht nur unvorstellbares menschliches Leid, sondern führte auch zu einem immensen Verlust an Arbeitskräften in Afrika.
Während in den Amerikas die indigene Bevölkerung weitgehend (90%) ausgerottet wurde, errangen dort die meist aus Europa gekommenen „Neusiedler“ die dominante Position in Politik, Wirtschaft und Kultur und die formale Unabhängigkeit vom „Mutterland“ bereits im 18. und 19. Jahrhundert, in einer Zeit in der viele Gebiete in Afrika und Asien erst von europäischen Ländern und den USA kolonisiert wurden.
Beginnend mit dem Aufstand der Sklaven 1791 in Haiti befreiten sich die Menschen nach und nach in fast allen kolonisierten Ländern. Namibia erhielt seine Unabhängigkeit nach mehr als 100-jähriger Fremdbestimmung erst 1990.
Die Befreiung von der Kolonialherrschaft errangen die unterdrückten Völker nur durch heftigen, auch militärischen Widerstand gegen die Besatzer. Die neu geschaffenen Staaten behielten im Allgemeinen die Landesgrenzen, welche die Kolonisatoren festgelegt hatten.
Heute zählen Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Spanien und die USA noch ehemalige Kolonien zu ihrem Staatsgebiet. Die UNO listet diese als „Territorien ohne Selbstregierung“ (Non-Self-Governing Territories, NSGT). Diese fungieren überwiegend als militärische Außenposten. Außerdem existieren Gebiete die als Überseegebiete der jeweiligen ehemaligen Kolonialmacht bezeichnet werden, wo die Bevölkerung oft dieselben Rechte wie die Bevölkerung im jeweiligen Staatsgebiet hat. In einer besonderen Situation sind zwei besetzte Regionen, in welchen den Bewohner*innen staatsbürgerliche Rechte vorenthalten werden: Die von Marokko besetzte Westsahara und die nach 1967 von Israel besetzten Gebiete. In beiden Gebieten verfügt die Besatzungsmacht über die natürlichen Ressourcen und organisiert einen Siedlerkolonialismus, um die indigene Bevölkerung schrittweise zu vertreiben.
Neokolonialismus
Auch nach der formalen politischen Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien blieb die koloniale Arbeitsteilung erhalten: Extraktion von Rohstoffen im Globalen Süden und deren gewinnbringende Verarbeitung sowie Technologieproduktion im Norden. Konzerne, Investoren und Staaten des industrialisierten Nordens setzten ihre Macht zugunsten der eigenen Wirtschaft ein, so dass die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit der ehemaligen Kolonien erhalten blieb. Sie müssen sich auf wenige Exportgüter mit geringer Wertschöpfung beschränken und sind daher leicht verletzbar vom Preisdiktat des Weltmarktes. Die Aufrechterhaltung der asymmetrischen Beziehungen wird seit Kwame Nkrumah als Neokolonialismus bezeichnet.
Stellten sich die neuen Regierungen gegen die dominante Haltung der vormaligen Kolonisten, um eigen Wege der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung zu gehen, so wurde dies mit verschiedenen Mitteln unterbunden um die gewünschte Beziehung zu zementieren. Dazu gehören:
- Direkte militärische Intervention, Stationierung von Truppen auf neokolonialem Territorium, Organisieren und die Unterstützung von Putschen, Installierung von diktatorischen Regimes oder deren Duldung, Sturz von Regierungen zur Erzeugung eines allgemeinen Chaos (Failed States), Bestechung und andere Formen von Korruption.
- Kontrolle durch wirtschaftliche und monetäre Mittel, wirtschaftliche Erpressung z. B. Sanktionen, Verschuldung und direkter Eingriff in wirtschaftliche und politische Entscheidungen, einseitige Handelsverträge und Zollschranken, Landraub durch Investitionen in Plantagen und Bergwerke, Wertschöpfung findet nur sehr wenig im Herkunftsland statt, Ausrichtung der Wirtschaft nur auf spezielle Exportgüter mit starker Abhängigkeit von Weltmarktpreisen.
Johannes Hauber, Januar 2022
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Weitere Informationen gibt das Mannheimer Bündnis für gerechten Welthandel