Theodor Seitz, geboren in Seckenheim – heute ein Stadtteil Mannheims, war ein herausragender Vertreter des kolonialen Unrechtssystems sowie des Kolonialrevisionismus bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein.
Kurze Biografie
Theodor Seitz wurde in Seckenheim als Sohn des Bürgermeisters und Tabakfabrikanten Jakob Seitz geboren. Nach einem Jurastudium war er ab 1889 im Badischen Verwaltungsdienst als Großherzoglicher Amtmann in Mannheim tätig. 1894 trat er in die Kolonialabteilung des auswärtigen Amtes Berlin ein und wurde wenige Monate später von 1895 bis 1899 als Kanzler, Bezirksamtmann in Duala, Richter und stellvertretender Gouverneur in der Kolonie Kamerun eingesetzt. Nach seiner Rückkehr aus Kamerun im Juli 1899 arbeitete er in der Kolonialabteilung in Berlin, wo er zum Legationsrat und 1902 zum „Vortragenden Rat“ aufstieg. Von 1907 bis 1910 war er Gouverneur in Kamerun, von 1910 bis 1915 Gouverneur in Deutsch-Südwestafrika. Ab Juli 1915 war er dort unter Überwachung gestellt, 1919 durfte er nach Deutschland ausreisen. Von 1920 bis 1930 war er Präsident und ab 1931 Ehrenvorsitzender der Deutschen Kolonialgesellschaft. 1949 starb er in Seckenheim.
Stellvertretender Gouverneur in Kamerun, 1895 – 1899
Rechtsprechung und Kolonialverwaltung
Als Kanzler war Seitz neben dem Gouverneur der einzige höhere Beamte in der Kolonialverwaltung der Kolonie Kamerun. Er war für die Gerichtsbarkeit zuständig und verkörperte „in seiner Person die Einheit von Justiz und Verwaltung“. In diesem „für die erste Entwicklungsphase einer Kolonie typischen normenfreien Arbeitsbereich“ konnte er zunächst frei über Strafen und ihren Vollzug entscheiden. Er führte deutsche Bezirks-Schiedsgerichte ein, welche die oberste Gerichtsbarkeit darstellten. 1896 wurden durch eine Verfügung des Reichskanzlers die zulässigen Strafen in den Kolonien vorgegeben. Erlaubt waren körperliche Züchtigung, Geldstrafe, Gefängnis mit Zwangsarbeit, Kettenhaft und die Todesstrafe. Männer ab 16 durften im Höchstfall mit 50 Prügel- oder Peitschenhieben in Portionen von bis zu 25 geschlagen werden, unter Aufsicht eines europäischen Arztes. (In Preußen war die Prügelstrafe 1848 abgeschafft worden, sie war im Deutschen Reich nur bei Strafgefangenen zulässig.) Basis der Gerichtsurteile war eine sehr eingeschränkte Beweisaufnahme, da man davon ausging: „die Schwarzen lügen, wenn sie den Mund aufmachen“. Entsprechend wurden die Aussagen von Schwarzen auch nicht protokolliert.
In seinen Erinnerungen führte Seitz aus, bei Gerichtsprozessen “spielte natürlich immer wieder die Frage eine große Rolle, wie die Aussagen der Eingeborenen, insbesondere wenn sie Aussagen von Weißen gegenüberstanden, zu bewerten waren“
Seitz führt in seinen Erinnerungen zur Herrschaft in Kamerun aus: „Mit Häuptlingen, die neu unter deutschen Einfluss traten, wurden keine Verträge mehr abgeschlossen, ihre Einbeziehung in das deutsche Herrschaftsgebiet wurde durch Verteilung einer beschränkten Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit gekennzeichnet (…,) so dass gegen die Entscheidungen des Häuptlings, die bisher als unbedingt und endgültig hingenommen wurden, eine Berufung an den Bezirksamtmann (…) erfolgte“. Außerdem „bestand ein wesentlicher Teil der Verwaltung darin, die Häuptlinge (…) zu überwachen.“
1900 wurden der Sitz der Kolonialverwaltung in das höher gelegene Buea im Landesinneren verlegt, die Verwaltung erweitert und umstrukturiert – vermutlich hängt die Rückkehr von Seitz nach Deutschland damit zusammen.
Vorgehen gegen die Duala-Kaufleute
Eine Aufgabe von Theodor Seitz als Bezirksamtmann war die Durchsetzung des Handelsmonopols der deutschen Firmen sowie die Einschränkung und schließlich Unterbindung des traditionellen Zwischenhandels der Duala. Getauscht wurden in erster Linie Palmöl, Palmkerne und Elfenbein gegen europäische Waren. Seitz schrieb dazu rückblickend: „Das finanzielle Interesse des Schutzgebietes war (…) eng verknüpft mit dem Gang der kaufmännischen Geschäfte“. Daher „versuchten die Firmen, um von den eingeborenen Küstenhändlern unabhängig zu werden, einzelne Zweigfaktoreien im Inneren aufzumachen.“ Das Gouvernement wurde mit Gerichtsverfahren und Bestrafungen aktiv, sobald die Duala nicht ausreichend Waren für die gegebenen Warenvorschüsse lieferten. Seitz erließ mehrere Polizeiverordnungen, die den Duala Handelsbeschränkungen auferlegten und verfügte 1899 eine sechsmonatige Handelssperre in und um das Duala-Gebiet. Diese führte zu einer Verdoppelung der Handelsstützpunkte der deutschen Firmen und zum weitgehenden Zusammenbruch des Duala-Handels.
Die grausame Eroberung des Hinterlandes
Seitz war als stellvertretender Gouverneur einbezogen in die militärische Unterwerfung. In Bd.1 seiner Memoiren berichtete Seitz beschönigend über eigene „Reisen und Expeditionen“, bei denen er die wirtschaftlichen Ertragsmöglichkeiten auslotete, in eroberten Gebieten „Kriegsschulden“ eintrieb, „Zollposten“ errichtete und eigene militärische Vorstöße unternahm. Über eigene militärische Eroberungen schreibt er, er sei aktiv geworden, „um einen Weg über Land zu den Ngolos öffnen und sie unter den dauernden Einfluss der Station (…) zu bringen. Glücklicherweise nahm ich auf Anraten des Kommandeurs eine Abteilung Schutztruppe von 30 Mann unter Leutnant von Arnim mit, denn die Expedition sollte durchaus nicht so friedlich verlaufen.(…) Wir wurden von den Ngolos angegriffen, stürmten das Dorf Betka und marschierten nach Ntoka, dem Hauptplatz der Ngolos“. Die „Eingeborenen“ nennt er „trotzige Bergbewohner“. An einem Dorfeingang wird die Truppe „mit Schüssen empfangen, und es entspann sich ein regelrechter Kampf.“
Ausführlicher berichtete der Hauptmann der „Schutztruppe“ Hans Dominik über die begangenen Grausamkeiten. Dominik kehrte nach einem Aufenthalt in Deutschland zurück, um den „kriegerischen Ereignissen im Jaunde-Land“ entgegen zu treten. Er empfand Kamerun wie „eine liebe zweite Heimat“… „Viel Freude“ machte ihm „die Anhänglichkeit der Soldatenweiber“.Er wurde „freundlich aufgenommen von dem Kanzler Dr. Seitz, der den auf Urlaub befindlichen Gouverneur vertrat“, erhielt von ihm Instruktionen und „besprach diese ausführlich mit Dr. Seitz.“ Wie sein Einsatz aussah, beschriebt Dominik wie folgt:
„Die Benjatas hatten sich nicht gestellt. Ich sandte Zampa mit 30 Mann gegen ihr Hauptdorf, in dem sie sich verschanzt hatten. Sie leisteten tapferen Widerstand. Beim Sturm wurde ein Soldat erschossen. Nach 14 Tagen baten sie um Frieden.“ Und weiter:
„Ungesehen kamen wir gegen 5 Uhr morgens in das große Banemekuno-Dorf. Mann für Mann schlichen wir, die Gewehre schußbereit in der Hand durch den hohen Zaun“…Es folgen Schießereien „…krachend flogen die Rindenwände des Männerhauses auseinander“…Es werden „zehn Männer und ungefähr 40 Frauen gefangen“…“In langer Reihe wurden die Gefangenen zusammengebunden“…“Drei Tage später stellte sich Bamenekuno. Er ist ein wirklicher Freund der Regierung geworden. Er war ein Neger und hatte fühlen wollen, um zu gehorchen“. An einer anderen Stelle schreibt Dominik: „Am grauenvollsten aber hatte doch Zimmermann mit dem Maximgewehr gearbeitet…Im ganzen waren 153 Wute gefallen. Wir hatten drei Tote und neun Verwundete.“
Im inneren Dienst der Kolonialabteilung 1899 – 1907
Auch im inneren Dienst nahm Seitz Einfluss auf die Ausübung der Kolonialherrschaft in Kamerun.
1899 schrieb A. Sylvester Williams, ein junger schwarzer Rechtsanwalt und Gründer der African Association, einen „Brief aus London“ an den deutschen Kaiser über die Situation der Duala. Er beklagte den Machtmissbrauch der Europäer, die willkürliche ungerechte Behandlung der Schwarzen in Kamerun, schrieb über Zwangsarbeit und bat um die Anwendung universeller Menschenrechte. Der Brief kam nur bis zur Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und wurde von Theodor Seitz und dem Kamerunreferenten Theodor Bumiller so beantwortet: „Die „sogenannten gebildeten Eingeborenen … zeichnen sich durch hervorragende Frechheit gegenüber den Weißen aus“. Von 1905 ist aus den Akten der Kolonialabteilung belegt, dass Seitz nach Berichten über die überaus schlechte gesundheitliche Situation der Trägerinnen und Plantagenarbeiterinnen aufgrund von Hunger, Überarbeitung, schlechter Ernährung, Misshandlungen und Infektionen einen Antrag auf Beihilfe zur Entsendung eines Arztes ablehnte mit der Begründung, es war nicht notwendig. Im selben Jahr gelangte eine Beschwerdeschrift der Duala an den Reichskanzler und den Reichstag, in welcher u.a. ungerechte Gerichtsurteile, Zwangsarbeit, Inbesitznahme von Mädchen und der Abriss von Wohnhäusern ohne Zustimmung bzw. Entschädigung der Bewohner*innen vorgebracht wurden. Die Kolonialabteilung lancierte Artikel gegen die Beschwerdeführer in die Presse und leitete die Beschwerde an den beschuldigten Gouverneur Jesko von Puttkammer weiter, der die Beschwerdeführer vor Gericht stellte und zu mehrjährigen Gefängnisstrafen mit Zwangsarbeit verurteilte. Nach einem Gnadengesuch, das zu einer weiteren aufgeregten Debatte im Reichstag führte, entwarf die Kolonialabteilung eine Stellungnahme des Reichskanzlers, in der empfohlen wurde, die Hauptangeklagten in Haft zu lassen „um nicht das Ansehen der deutschen Regierung bei den Eingeborenen allzusehr zu erschüttern“, die Strafen aber zu mildern.
Gouverneur in Kamerun 1907 – 1910
Puttkammer wurde 1906 abgesetzt, nachdem ihm eine persönliche Verfehlung nachgewiesen werden konnte. Ebenso wurde die Leitung der Kolonialabteilung geändert. Der neue Leiter Dernburg strebte in den Kolonien mehr Wirtschaftlichkeit an und gab die Devise der „n-erhaltenden Politik“ aus. Seitz wurde zum Gouverneur von Kamerun ernannt. Die Duala befürchteten, „unter ihm einer ähnlichen Behandlung ausgesetzt zu sein wie unter Herrn von Puttkammer“ und baten um die Einsetzung einer anderen Person.
In seinen Erinnerungen beschrieb Seitz die Situation zu Beginn seines Gouvernements wie folgt: Es „verschwand mehr und mehr das bisherige Übergewicht der Küstenbewohner, auf die früher das Gouvernement in erster Linie angewiesen war.“ Die Duala waren wirtschaftlich weitgehend ruiniert, die deutschen Handelsfirmen waren jetzt auch im Landesinnere, und europäische Plantagen breiteten sich aus. „Aus ein paar N-dörfern war eine Stadt geworden mit einem Europäerviertel“. Es gebe „über 30 Firmen“. Die am Kamerunberg für die Anlage von Plantagen vertriebenen Bakwiris hätten sich „sehr bald mit den neuen Verhältnissen abgefunden, besonders „seitdem die Abgrenzung der Plantagen (…) zu Ende geführt war.“
Verwaltung
Seitz baute die Verwaltung weiter aus und stärkte die Position einzelner afrikanischer Oberhäupter, die er gleichzeitig in die Kolonialverwaltung einband und kontrollierte. 1908 führte er eine „Kopfsteuer für jeden erwachsenen männlichen Eingeborenen“ ein, nach der „jeder Eingeborene einen Monat im Jahr für das Gouvernement arbeiten müsse“. Wo möglich, könne die Arbeit durch einen entsprechenden Geldbetrag ersetzt werden. Für den Transport von Kautschuk zur Küste führte er eine einheitliche „Trägerordnung“ ein, nach welcher jede „ausgewachsene, arbeitsfähige und gesunde“ Person maximal 30 kg plus 5 kg Verpflegung tragen und nur eine bestimmte Zeit auf einer bestimmten Wegstrecke unterwegs sein musste. Dafür sollten sie künftig in Bargeld bezahlt werden. Ein halbes Jahr später musste Seitz „feststellen, dass die Auszahlung der Trägerlöhne immer noch größtenteils in Rum erfolgte“ Die vorgesehene Höhe der Trägerlöhne ist nicht bekannt, wohl aber die 1908 neu geregelte Vergütung für Strafarbeiter. Der bisheriger Monatslohn von 4 Mark wurde beschränkt auf die letzten zwei bis drei Monate ihrer Strafzeit.
Strafen
1908 erschien in deutscher Sprache und auf Duala eine Kameruner illustrierte Zeitschrift, in der das deutsche Kolonialsystem scharf kritisiert und in Frage gestellt wurde. Ein in Altona lebender Kameruner hatte sie organisiert. Seitz schlug vor, diesen Mann, sobald ihm gerichtlich Entsprechendes nachzuweisen sei, „nach einer Insel in der Südsee dauerhaft zu verbannen“
Während der Gouverneurszeit von Seitz in Kamerun verdoppelten sich im Zeitraum 1905/06 bis 1909/10 die der Kolonialverwaltung berichteten Bestrafungen durch körperliche Züchtigung. Die sogenannte Nilpferd- oder Nashornpeitsche, auch sjambok genannt, war das gebräuchlichste Züchtigungsinstrument der Kolonialherrschaft und des südafrikanischen Apartheid-Regimes. Sie wurde aus dem Leder von Dickhäutern hergestellt.
Als unzulässige Strafmaßnahmen in Jaunde in den Jahren 1908 und 1910 wurden im Reichskolonialamt Dunkelarrest, Kostschmälerung bis Kostentzug und wochenlanges Krummschließen bekannt.
“Auch in den Plantagen wurden Prügel und Peitschenhiebe eingesetzt. Der Leiter des Reichskolonialamts Dernburg erklärte zum Züchtigungsrecht der Plantagenbetreiber: „Ein auf Gewohnheit beruhendes privates Recht zur Züchtigung ihrer farbigen Arbeiter“ werde bei entsprechender Entscheidung der ordentlichen Gerichte für rechtmäßig angesehen. Denn es sei wichtig, dass das Bewusstsein der Überlegenheit der Fremden nicht erschüttert wird“. Seitz schrieb 1909 an seinen Vorgesetzten, er lehne wie Dernburg eine generelle Disziplinierungsgewalt der Pflanzer wegen der Gefahr des Mißbrauchs ab, wenn sie auch in einzelnen Fällen berechtigt und sinnvoll sei. Statt dessen sollte an die Pflanzungsleiter die staatliche Strafgewalt delegiert werden.”Auch in den Plantagen wurden Prügel und Peitschenhiebe eingesetzt. Der Leiter des Reichskolonialamts Dernburg erklärte zum Züchtigungsrecht der Plantagenbetreiber: „Ein auf Gewohnheit beruhendes privates Recht zur Züchtigung ihrer farbigen Arbeiter“ werde bei entsprechender Entscheidung der ordentlichen Gerichte für rechtmäßig angesehen. Denn es sei wichtig, “dass das Bewusstsein der Überlegenheit der Fremden nicht erschüttert wird“. Seitz schrieb 1909 an seinen Vorgesetzten, er lehne wie Dernburg eine generelle Disziplinierungsgewalt der Pflanzer wegen der Gefahr des Mißbrauchs ab, wenn sie auch in einzelnen Fällen berechtigt und sinnvoll sei. Statt dessen sollte an die Pflanzungsleiter die staatliche Strafgewalt delegiert werden.
Rassentrennung, Enteignung und Umsiedlung der Duala
Weiße lebten getrennt von Schwarzen, so dass „man sich bei den Einladungen nicht den Kopf zu zerbrechen hatte. Es wurden eben alle Weißen eingeladen“. Seitz leitete zum Ende seiner Amtszeit 1910 eine Zwangsumsiedlung der Duala von ihren angestammten Wohnsitzen am Kamerunfluss ein, um eine Trennung zwischen den Wohngebieten für Weiße und für Schwarze herbeizuführen. Innerhalb von 5 Jahren wollte er das Gelände der Stadt Duala vollständig in deutschen Besitz bringen. Als Argumente wurden „hygienische Gründe“ und ein Gegensatz der Weißen gegenüber der schwarzen Rasse angeführt. Die Zwangsumsiedlung führte in den darauf folgenden Jahren zur Eskalation des Widerstands der Duala und zu Justizmorden der Kolonialmacht.
Kulturgüter
Die Reiss-Engelhorn-Museen besitzen aus der Gouverneurszeit von Theodor Seitz Kulturobjekte aus Kamerun: „Dr. Theodor Seitz, Gouverneur von Kamerun, erwarb einen aufwändigen Leopardenthron, ebenfalls aus Bamum, der die Bestände der Reiss-Engelhorn-Museen bereichert.“ Seitz stand auch in Kontakt zu Franz Thorbecke, der dem REM eine umfangreiche Sammlung von Gegenständen aus Kamerun überlies.
Gouverneur in Deutsch-Südwest-Afrika 1910- 1915
In Band 3 seiner Erinnerungen gibt Seitz seine rassistischen Vorurteile zum Besten:
Die „Hottentotten“ (abwertende Bezeichnung für Nama) beschreibt er als „schlau, verschlagen, für die schlechten Seiten westlicher Zivilisation empfänglich“ und vermutet, dass sie „irgendwie mit der mongolisch-malaiischen Rasse zusammenhängen“
Absicherung und Kontrolle
Nachdem die deutsche Kolonialmacht 1904 – 1908 ihren Herrschaftsanspruch mit der Ermordung, Vertreibung und Enteignung des größten Teils der Bevölkerung und der Verbringung von Tausenden in Straflager durchgesetzt hatte, bestand die Aufgabe des Gouverneurs in der Absicherung der Herrschaft und der Förderung der deutschen Siedler, Bergwerke und Diamantenfelder. Um für sie Arbeitskräfte verfügbar zu machen, wurden ab 1907 Passmarken und Namensregister zur Identifikation und Kontrolle der einheimischen Bevölkerung eingeführt. Dies war nicht einfach durchzusetzen. Häufig verschwanden die Passmarken und die Leute wechselten ihren Namen, um „ihren Dienstherren zu entlaufen“. Deutsche Siedler schlugen vor, die Arbeiter zu tätowieren. Das lehnte das Gouvernement unter Seitz 1912 ab. Stattdessen führte es die Bestrafung „jedes Eingeborenen, der ohne Passmarke ist“ ein, gab allen Bezirksämtern Anweisungen, Körperbeschreibungen zu dokumentieren, und führte der Daumenabdruck auf allen amtlichen Ausweisen ein. 1911 schrieb Seitz an die Bezirksämter: „Ich ersuche daher, mit allen Mitteln darauf zu halten, dass der Eingeborene seinen einmal angenommenen Namen behält…Hat ein Dienstherr mehrere Eingeborene gleichen Namens, so empfiehlt sich, … eine Nummer beizusetzen. Er empfiehlt außerdem, auch den Vatersnamen zu vermerken, damit „sich allmählich Familiennamen einbürgern“
Verhalten des Gouverneurs bei Misshandlungen durch weiße Siedler
In Meldungen aus den Distrikten wurde ausgeführt, dass Arbeiter*innen aufgrund von schlechter Behandlung oder unzureichender Verpflegung „entlaufen“. Dienstherren auf Farmen, in Minen und Diamantenfeldern übten gegen die einheimischen Arbeitskräfte Gewalt bis hin zum Totschlagen aus. Das geht aus Gerichtsberichten hervor. Seitz empfahl in einem Rundschreiben an die Bezirksvorsitzenden zwar, bei brutalen Exzessen weißer Siedler gegenüber Einheimischen solle energisch eingeschritten werden, da diese „über kurz oder lang zu einem erneuten verzweifelten Eingeborenenaufstande und damit zum wirtschaftlichen Ruin des Landes“ führen würden.. Eingriffe der Polizei bei Misshandlungen wies aber z.B. die Minenkammer als Eingriff in die Privatrechte ab. Wenn es zu Gerichtsverfahren kam , wurden Misshandler nur in Extremfällen und in geringem Umfang strafrechtlich belangt. In der Regel wurde ihnen mildernde Umstände zugebilligt.
“Rassen”-Trennung
Bereits seit 1905 wurden Eheschließungen zwischen Weißen und Schwarzen nicht mehr zugelassen. Darüber hinaus wurden ab 1909 weiße Männer, die „mit einer Eingeborenen verheiratet sind oder im Konkubinat leben“ vom aktiven und Passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Seitz ging noch weiter. Eine „Verordnung über die „Mischlingsbevölkerung“ legte 1912 fest, dass Kinder mit einem weißen Vater und einer schwarzen Mutter unter dem Namen der Mutter in gesonderte Melderegister einzutragen waren. Die Polizei wurde ermächtigt, die Trennung eines gemischten Paares zu verlangen und auch zu erzwingen. „In gleicher Weise kann die alsbaldige Beendigung eines Dienstvertrages und die Entfernung der Mutter eines halbweißen Kindes verlangt werden.“
Aufstandsbekämpfung
Das Gouvernement war in den Jahren nach dem Völkermord bemüht, Aufstände zu verhindern bzw. zu bekämpfen. „Auffälliges widersetzliches Benehmen“ oder auch vereinzelte Überfälle gaben Anlass zu Gerüchten über bevorstehende Aufstände. Gouverneur Seitz hielt 1911 die Polizisten an, gegenüber Buschleuten (San) „ihre Schusswaffe stets zum sofortigen Gebrauch bereit zu halten“ und, bei Sicht auf sie zu schießen.
Südafrikanische Arbeiter streikten 1910 an einer Bahnbaustelle für höheren Lohn. Daraufhin wurden sie von einer militärischen Einheit erschossen. Die Vorfälle sorgten im Reich und auch im britischen Südafrika für Aufsehen. Gouverneur Seitz deckte -trotz interner Kritik – sowohl die Baufirma als auch die Soldaten und schrieb den aufwieglerischen Arbeitern die Schuld zu.
Präsident (1920 -1930) und Ehrenvorsitzender (ab 1931) der Deutschen Kolonialgesellschaft
Nach seiner Rückkehr 1919 wurde Seitz 1920 zum Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) gewählt. Die DKG hatte bereits 1919 über 4 Millionen Unterschriften für einen „Aufruf für die Wiedererlangung der Kolonien“ gesammelt. Als Zweck der DKS steht in der 1921 beschlossenen Satzung: „Sie will der Erkenntnis Geltung verschaffen, das Deutschland eine seiner Bevölkerungszahl, seinen Bedürfnissen und seiner Leistungsfähigkeit entsprechende koloniale Betätigung nicht entbehren kann und Kolonien besitzen muss.“
Theodor Seitz spielte als Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft eine zentrale Rolle beim Rückerwerb von Plantagen in Kamerun. Diese standen seit dem Ersten Weltkrieg unter britischem Mandat, unter Aufsicht des Völkerbunds. Die deutschen Plantagenleiter und -mitarbeiter waren interniert, die Plantagen beschlagnahmt worden. Jedoch betrachtete die britische Mandatsverwaltung die Plantagen am Kamerunberg als Musterbeispiel industrieller Landwirtschaft und empfahl, sie „von europäischen und amerikanischen Firmen übernehmen zu lassen, da nur diese genug Kapital und Erfahrung hätten, um die Produktion effizient und in hoher Qualität fortzuführen“. Es gab erste Verhandlungen ehemaliger Plantagenbesitzer, aber deutsche Unternehmen durften zunächst im Mandatsgebiet nicht tätig werden. Anfang 1921 informierte Seitz den ehemaligen Plantagenbesitzer Wilhelm Scipio in Mannheim über die Entwicklung. 1922 organisierte die britische Regierung eine Versteigerung, bei der deutsche Bieter nicht zugelassen waren. Dabei fand nur die ehemalige Plantage Scipios einen neuen Besitzer.
Im November 1924 wurde eine neue Versteigerung angesetzt. Zu dieser wurden auch deutsche Bieter zugelassen, was allerdings in London kritisch beäugt wurde. Seitz lud die ehemaligen deutschen Plantagenbesitzer ein. Gemeinsam wurde ein Vorgehen bei der Versteigerung verabredet, das den Rückerwerb aller ehemaligen deutschen Besitzungen zu einem möglichst niedrigen Preis ermöglichte. Unter größter Verschwiegenheit wurde eine gemeinsame Firma, die Fako-Pflanzungen GmbH gegründet, die als einziger Bieter alle ehemaligen deutschen Grundstücke ersteigern sollte. Als unauffälliger Strohmann wurde ein reicher englischer Grundstücksspekulant gewonnen. Es gelang, „einen Großteil des früheren Pflanzungsbesitz am Kamerunberg zum unerwartet günstigen Preis von 4,2 Mio. Mark zurück zu erwerben“. Erst am Ende der Auktion wurde bekannt, wer das Land ersteigert hatte. In die Öffentlichkeit drang kaum etwas: „ Durch die diskrete Durchführung der Aktion bemerkte weder die englische Presse, wer den Plantagenbesitz wirklich ersteigerte, noch wurde die deutsche Presse über den Rückkauf informiert“. Dabei war die deutsche Reichsregierung mit insgesamt 9,3 Millionen Reichsmark an der Fako beteiligt. Sie ermöglichte allen interessierten deutschen Investoren einen Wiedereinstieg in Kamerun.
Die Fako vermittelte die erworbenen Ländereien an die ursprünglichen Eigentümer. Da die Plantage Idenau bereits vergeben war, erhielt der Mannheimer Wilhelm Scipio die Plantage Oechelhausen, auf welche der frühere Eigentümer verzichtet hatte. Die Fako löste sich Im April 1926 auf und trat sämtliche Rechte an das Reich ab.
1930 schlug die DKG unter Leitung von Seitz u.a. vor, die Niederlassung und Betätigung von Deutschen in den Kolonien anzustreben. Für die „ zurückgebliebenen Völker“ brauche es Anleitung und Fürsorge durch europäische Nationen.
1931 stellte Seitz als Ehrenvorsitzender der DKG fest, dass die Nationalsozialisten „außerordentlich geschickt und rührig vorgingen“. Zu den Kolonien erklärte er:
„Auch wir fühlen, wie Adolf Hitler, die brennende Wunde im Osten des Reichs (…) Wir verlangen wie er Rückgabe der alten deutschen Gebiete (…) aber wir halten das Ziel nur für erreichbar durch Heranziehung überseeischer, besonders auch tropischer Gebiete, die uns an Rohstoffen und Genussmitteln im Wesentlichen das bieten, was Mitteleuropa nicht zu produzieren vermag“.
Theodor Seitz war während der NS-Zeit eine angesehene Person, über deren runde Geburtstage in der Presse berichtet wurde.
Autorin: Gertrud Rettenmaier
Zeitgenössische Literatur:
Theodor Seitz, Vom Aufstieg und Niederbruch deutscher Kolonialmacht. Erinnerungen, 3 Bände, 1927-1929
Hans Dominik, Kamerun – Sechs Kriegs- und Friedensjahre in Deutschen Tropen 1894-1900, Berlin 1901
Amtsrichter Glahn, Ein Jahr in Kamerun, Vortrag in Demmin 1899
Verwendete Forschungsliteratur:
Karin Hausen, Deutsche Kolonialherrschaft in Afrika. Wirtschaftsinteressen und Kolonialverwaltung in Kamerun vor 1914,
Werner Schiefel, Bernhard Dernburg, Beiträge zur Kolonial- und Überseegeschichte, Bd.11
Helmuth Stoecker (Hg.), Kamerun unter deutscher Kolonalherrschaft, Bd.1 und 2, Berlin 1968
darin: Adolf Rüger, die Duala und die Kolonialmacht 1884 – 1914
Albert Wirz, Vom Sklavenhandel zum kolonialen Handel. Wirtschaftsräume und Wirtschaftsformen in Kamerun vor 1914
Edgar Hartwig, Deutsche Kolonialgesellschaft, in Fricke u.a. (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte, 1982
Udo Kaulich, Die Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika 1884-1914, 2001
Sebastian Parzer: Der Mannheimer Kaufmann Ferdinand Scipio (1837-1905) – Gutsbesitzer, Bankengründer, Politiker und Kolonialunternehmer in: Hermann Wiegand/Hiram Kümper/Jörg Kreutz (Hrsg.), Reformation – Aufklärung – Revolution – Emanzipation – Beiträge zur Kultur-, politischen Ideen- und südwestdeutschen Landesgeschichte. Festschrift für Wilhelm Kreutz zum 70. Geburtstag, Ubstadt- Weiher 2021, S. 249–262.
Kerstin Wilke, Die deutsche Banane – Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Banane im Deutschen Reich 1900 – 1939
Jürgen Zimmerer, Deutsche Herrschaft über Afrikaner, 2001