
Stimmen aus dem Kulturausschuss vom 8. Juli 2021 zu den Benin-Bronzen in den Reiss-Engelhorn-Museen. Kapitel 1
Wie kamen die „Dinge“ in die Reiss-Engelhorn-Museen?
1899 kam Mannheims ethnologisches Museum, finanziert von Industriellen und Kaufleuten wie Carl Reiss, Karl Lanz, August Röchling durch Stiftungen und Spenden zu einem bedeutenden Teil seiner Sammlung. Als Symbol ihrer erfolgreichen Unternehmungen in den kolonialisierten Ländern vermachten sie Kunstwerke zum Teil als Schenkungen über den 1859 gegründeten Mannheimer Altertumsverein, dessen Vorsitzender Major a.D. Max von Seubert (1889-1912) war. Teilweise war die Beschaffung von ihnen über die Deutsche Kolonial-Gesellschaft in Auftrag gegeben worden, wie im Falle der Thorbecke-Sammlung aus Kamerun. Mehr dazu
Einige Sammlungen und Einzelstücke wurden von der Stadt aufgekauft. Z.B. 1917, die Sammlung Gabriel von Max zum Preis von ¼ Million Goldmark. Davon zahlte Kommerzienrat August Röchling 100 000 Goldmark, siehe Robert Pfaff-Giesberg, s.u.
Nach 1936 wurden unter dem damaligen Direktor Pfaff-Giesberg weitere Schenkungen und Ankäufe getätigt u.a. aus „den Lagern von G. Umlauff“, einer Firma, die sich auch auf Völkerschauen spezialisiert hatte und umfangreichen Handel mit ethnologischen Kunstschätzen betrieb.

Mit dem Deutschen Kanonenboot Hyäne (1884) wurde die Bevölkerung auf Inseln in Ozeanien beschossen
Wie ging der ‚Erwerb‘ der Kunstwerke vonstatten ?
Bei den Benin-Bronzen ist heute allgemein bekannt, dass sie durch Raub und Plünderung in den Besitz der britischen Kolonialmacht kamen und sodann über den internationalen Kunstmarkt in die ganze Welt ,verscherbelt’ wurden.Die Artefakte aus Benin bilden aber nur einen kleinen Teil der Sammlungen in den REM. Hier lagern aus allen ehemaligen Deutschen Kolonien Kunstschätze, menschliche Gebeine und Alltagsgegenstände, deren Beschaffung nur zu oft mit äußerster Gewalt von statten ging.
Pfaff-Giesberg nennt z.B. Berthold Levy, Importkaufmann, der in den „unter deutscher Hoheit stehenden Karolinen“ die Manila Hanf-Produktion aufbaute. 1904 vermachte Levy „Naturalien und ethnographische Gegenstände“ an das Museum: „in unserer heutigen Südseeabteilung sind noch ausgezeichnete Stücke davon zu finden, Schmuck, Tanzkostüme, Werkzeuge und Schiffsmodelle.“
zit. nach Robert Pfaff-Giesberg, s.u.
Auch dort, dem heutigen Neu-Guinea trieben sog. ‚Deutsche Schutztruppen‘ durch Terroraktionen, ‚Strafexpedition‘ genannt, die Menschen aus ihren Dörfern, um dann in aller Ruhe plündern zu können. Von der Insel Luf berichtet Götz Aly: „Sie brannten dort sämtliche Häuser nieder, zerschlugen alle Kanus, mordeten, vergewaltigten und raubten die „kulturellen Zeugnisse Ozeaniens“.
zit. nach Götz Aly, s.u.
Menschliche Gebeine wurden von „Knochenjägern“ und „Leichenräubern“ im Auftrag von Museumsdirektoren bei Hinrichtungen, nach Massakern und sog. Strafexpeditionen oder aus Gräbern geraubt und in Katalogen weltweit feil boten. Mehr dazu
Damit bedienten sie die Interessen der entstehenden Fachrichtungen Ethnologie und Anthropologie an Schädelsammlungen zur Rassenkunde und menschlicher Erblehre. So galt die Sammlung Gabriel von Max als eine der größten Schädelsammlungen ihrer Zeit. Sie umfasste auch Ganzkörpermumien und Mumienteile aus Ägypten, Südamerika, Asien und Ozeanien, Afrika und Europa. Mehr dazu
Selbst dort, wo Objekte durch Kauf erworben wurden, kann kaum vom freien Willen der ehemaligen Besitzer ausgegangen werden. Der Verkauf war den ungleichen Machtverhältnissen und der strukturellen Gewalt im Kolonialismus geschuldet.
Konnte man das wissen?
Militärs und Händler scheuten sich nicht, sich mit ihrem brutalen Vorgehen zu brüsten: Theodor Bumiller, dessen Sammlung die REM zieren, wird aus seinem Tagebuch wie folgt zitiert: „ Waffen, Speere, Zeug, Pulver, Schmuck, gefangene Weiber und Kinder werden in unzähliger Menge herbeigeschafft.“ Mehr dazu
In Deutschland wurden die brutalen Raubzüge überwiegend billigend in Kauf genommen. Die Kolonialisten propagierten das Bild von „heimtückischen Wilden“, „gefährlichen Mordbrennern“ und „Kannibalen“. Die ‚Minderwertigkeit‘ der kolonialisierten Völker, der „Primitivrassen“ wurden zur ideologischen Rechtfertigung für die Plünderung ihres Besitzes gemacht.
Eugen Fischer 1905, zit. nach Gölz Aly s.u.
War denn der Besitz des Raubgutes im Deutschen Kaiserreich rechtmäßig?
„Seine Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preussen“ unterzeichnete in Den Haag am 18. Oktober 1907 die Haager Landkriegsordnung. Ein „Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“.
Art. 46 regelt: „Die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.“
Art. 47: „Die Plünderung ist ausdrücklich untersagt.“
Das bedeutet, nein, auch damals war es nicht erlaubt in fremde Häuser zu gehen, diese zu brandschatzen und zu plündern.
Durfte man denn wenigstens die Toten schänden, Schädel und Skelette rauben?
Auch das war nicht uneingeschränkt erlaubt. Als es nach ausgiebigen Plünderungen von Gräbern zu Aufruhr in der Bevölkerung kam, verboten der Kaiserliche Gouverneur von Deutsch-Neu-Guinea Albert Hahl und der Kaiserliche Richter das „Schädelausgraben“ um die „Eingeborenen“ nicht unnötigerweise aufzuregen.
Das Berliner Völkermuseum bekam ungestört weiterhin die eingeforderten menschlichen Gebeine: „zum Preis von vier Mark pro Stück“ geliefert.
zit. nach Gölz Aly, s.u
Hehlerware als rechtmäßiges Eigentum?
Der Erwerb gestohlener Sachen führt nach § 935 BGB nicht zu Eigentum.
Nun liegen im Falle der in Kolonialzeiten gestohlenen Güter die ‚Vorgänge‘ lange zurück. Die Betroffenen sind tot, teilweise ganze Bevölkerungen ausgerottet. Sie können schwerlich einen Rechtsanspruch geltend machen. Schon 1919 hatte Deutschland eine Verordnung erlassen, die seit 1955 die gesetzliche Grundlage bildet, um erklärtermaßen den deutschen Besitz an Kulturgut zu sichern. deutschlandfunk.de, kulturgutschutzgesetz-kunst-oder-geld
Zusätzlich verjähren jegliche Ansprüche auf Kulturgüter aus Raubkontexten nach 30 Jahren ihrer „Enthebung“ aus dem jeweiligen Ursprungsgebiet. Eine Regelung, die sich auch mit dem Kulturgutschutzgesetz von 2015 in Bezug auf die in der Kolonialzeit geraubten Objekte nicht geändert hat. Dies machen sich Museen und Galeristen zunutze . Der deutschlandweit agierende Galerist Hermann bedauert dennoch: “Sowohl die internationalen Bestimmungen als auch die nationalen afrikanischen Gesetzgebungen wirken sich kontraproduktiv auf einen freien Handel aus.“
siehe Galerie Hermann 2007
Der Besitz des Raubgutes aus der Kolonialzeit ist nach derzeitig geltender Rechtsprechung in Deutschland legal.
Legitim ist er nicht.
Nach Jahrzehnten der Hinhaltetaktik durch europäische Museen wird heute, wenn auch zögerlich und im Schneckentempo, die moralische Verpflichtung zur Restitution kaum noch in Abrede gestellt.
Autorin: Margarete Würstlin, 31.8.2021
Quellen:
Götz Aly: Das Prachtboot, 2021
Dr. Hannes Hartung , Das neue Kulturgutschutzgesetz – Ein Leitfaden für die Praxis
Robert Pfaff-Giesberg: Mannheimer Geschichtsblätter Heft 57 – 59/ Nr. 3 : „100 Jahre Mannheimer Altertumsverein“
Luisa Del Prete: Wem gehört koloniales Raubgut? Aktualisiert 8.2.21 https://thearticle.hypotheses.org/10039
Birgit Scheps-Bretschneider: Gebeine aus aller Welt für die Sammlung. Täter und Opfer,
in: Unmittelbarer Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Universitäts-Sammlungen.
Hrsg. Hochschule für Bildende Künste Dresden, 2018
Heike Wintershoff; Der profane Kultwert. Echtheitskonzepte afrikanischer Objekte von Museen, Auktionshäusern und Sammlern; 2011; https://www.about-africa.de/kunst-und-kontext/ausgabe-02-2011/294-echtheitskonzepte-afrikanischer-objekte-museum-auktionshaus-sammler
https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/12/24/echt-unecht-lebensecht/
Beitragsfoto: Origamiemensch, CC BY-SA 3.0