Mannheim, Ausschuss für Sicherheit und Ordnung, 2. Mai 2023.
Thema: Unbegründeter SEK-Einsatz gegen Schwarze Gäste aus Westafrika
„natürlich ist das ein unglaubliches Erlebnis für die Betroffenen“
Kriminaldirektorin Ulrike Schäfer
Vier junge Klimaaktivisten aus Westafrika waren Anfang April angereist, um als Gäste der Black Akademy in einem internationalen Team über Perspektiven aus dem globalen Süden auf Themen der Klimagerechtigkeit zu sprechen und zusammen mit ihren deutschen Kolleg*innen für Austausch und gegenseitige Sensibilisierung zu arbeiten.
In den Morgenstunden des 27. April wird die Wohnung der jungen Aktivisten in Mannheim von einem Sondereinsatzkommando der Polizei gestürmt. Die völlig überrumpelten Männer, die zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgehen, dass es sich um eine in Deutschland wohl so übliche Personenkontrolle handle, holen zunächst schnell ihre Pässe, um sich ausweisen zu können. Doch statt einer bloßen Kontrolle werden die Aktivisten aus der Wohnung auf die offene Straße geführt und draußen fast zwei Stunden z.T. ohne Schuhe und Jacken und mit Kabelbindern gefesselt festgehalten. Währenddessen wird die Wohnung von vielen Einsatzkräften durchsucht.
Weder wurde den Betroffenen ein Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung vorgelegt, noch wurde ihnen – anders als von der Polizei berichtet – die Maßnahmen oder Gründe des Einsatzes erklärt. Auch ist unklar, wie es sein kann, dass die Polizei, die “nach intensiven Ermittlungen” in die Wohnung eindrang, nichts von den vier Personen wusste, die seit fast drei Wochen in der Unterkunft lebten, die schon seit anderthalb Jahren von der Black Akademy angemietet ist. Von einem „fluchtartigen Verlassen der Wohnung“ kann ebenfalls keine Rede sein, da die Männer, die lediglich von einer Personenkontrolle ausgingen, nichts zu befürchten hatten. Die Unterstellung eines Fluchtversuchs stellt die uneingeschränkte Unschuld und Unwissenheit der Betroffenen öffentlich in Frage und bietet eine vermeintliche Rechtfertigung des Umgangs der Polizei, die keine Grundlage hat. Der einzige Verdachtsmoment waren laut Kriminaldirektorin Ulrike Schäfer „merkwürdig verpackte Lebensmittel, die auch „sprengstoffähnliche Gegenstände“ hätten sein können.“ Dass die Drogenspezialeinheit der Polizei für die Identifizierung der Gegenstände gemeinsam mit mehreren Spürhunden fast zwei Stunden brauchte, ist verwundlich.
Frau Schäfer bedauerte auf der Sitzung „zutiefst“, dass die Tatsache, dass das Vorgehen der mindestens 15 Polizisten, die frühmorgens mit Hunden anrückten und die Türe gewaltsam öffneten als „rassistisch empfunden“ wurde. Auf der Ausschuss-Sitzung konnte sie zwar wenig zur Aufklärung des ‚Falles‘ beitragen, außer „dass die Personen unbeteiligt sind“. Eines aber wusste sie schon nach fünf Tagen:
„Ich verwahre mich auch, dass es strukturellen Rassismus in der Polizei gibt.“
Kriminaldirektorin Ulrike Schäfer
Amnesty International weist 2016 deutschen Sicherheitsbehörden einen institutionellen Rassismus gegenüber Ausländern bzw. deutschen Bürgern mit ausländischen Wurzeln nach.
Damit ist „das Unvermögen, alle Menschen angemessen und professionell zu behandeln, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihres kulturellen Hintergrunds oder ethnischen Herkunft“ gemeint. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) stellt 2017 fest: In Deutschland existiert ein institutioneller Rassismus und die deutsche Polizei betreibe „Racial Profiling“
Rassistische Fahnungsmuster, auch als “Racial Profiling” bezeichnet, sind aus der Praxis seit vielen Jahren belegt.
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) spricht von „Racial Profiling“, wenn sich die Polizei im Zuge ihrer Kontroll-, Überwachungs- und Ermittlungsaktivitäten auf Zuschreibungen wie die der vermeintlichen „Rasse“, „Hautfarbe“, Sprache, Religion, Nationalität oder „ethnischen Herkunft“ bezieht, ohne dass es hierfür eine Rechtfertigung in Form eines objektiven Grundes gibt.
(zitiert nach dem Positionspapier von Amnesty International 2021)
Die Antidiskriminisierungsstelle des Bundes schreibt 2021
„Bei mehr als jeder zweiten Beratungsanfrage mit Bezug zu Polizei und Ordnungsbehörden fühlten sich Menschen rassistisch diskriminiert. Racial Profiling spielt hier weiter eine große Rolle.“
Der Afrozensus 2020 kommt zu folgendem Ergebnis:
„Jeweils über 80 % von 1245 Afrozensus-Befragten geben an, in den letzten zwei Jahren im Kontakt mit der „Polizei” u. a. in Bezug auf ihre „Hautfarbe” (85,1%) und/oder „rassistische Gründe / ‚ethnische Herkunft’” (80,2 %) diskriminiert worden zu sein. In diesem Zusammenhang stehen auch „Name” (23,8 %),„Haare/Bart” (19,3 %) und „Staatsbürgerschaft”(13,9 %), von denen die Befragten berichten u. a. in Bezug auf diese von der „Polizei” diskriminiert worden zu sein und die als Marker für Rassifizierung gelten.
Afrozensus 2020
Das Deutsche Institut für Menschenrechte belegte 2013 in einer Studie Racial Profiling bei der deutschen Polizei.
Amnesty International befasst sich seit vielen Jahren mit der Problematik.
Aus dem Deutschland-Bericht 2022:
Unzureichende Ermittlungen bei Vorwürfen über diskriminierende Personenkontrollen (Racial Profiling) verletzten das Recht auf Nichtdiskriminierung. Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung bei diskriminierenden Übergriffen durch die Polizei wurden weiterhin durch das Fehlen eines unabhängigen Beschwerdemechanismus behindert.
Amnesty International, Deutschlandbericht 2022
Ebenfalls lesenswert: Amnesty Positionspapier 2021zu Racial Profiling
Behördliche Routinen, die institutionellen Rassismus hervorbringen sind erst dann zu erkennen, wenn sie daraufhin analysiert werden. Wird reflexhaft abgewiegelt, es gebe keinen Rassismus bei der Polizei, dann sind die Weichen auf ‚weiter so‘ gestellt.